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Ausgeträumt.

© dpa

Versteigerung des Kunsthauses Tacheles: Turbulente Geschichte unterm Hammer

Schluss mit Off-Kultur: Diese Woche endet die bewegte Geschichte des Kunsthauses Tacheles. Es wird am Dienstag geräumt – und soll versteigert werden. Wer die jahrelang besetzte Kaufhausruine erwerben wird, ist völlig ungewiss.

An diesem Dienstag, acht Uhr morgens, dürfte das Kunsthaus Tacheles Geschichte sein. Der Gerichtsvollzieher rückt an, wahrscheinlich mit Polizeiunterstützung. „Uns liegt ein rechtskräftiger Räumungstitel vor“, sagt Rechtsanwalt Michael Schultz, der seit mehr als einem Jahr die Räumung des Tacheles betreibt. Der Titel richte sich gegen den Nachfolger des insolventen Tacheles-Vereins. „Wir sind zur Herausgabe verurteilt“, sagt auch Linda Cerna, Sprecherin des Tacheles.

Damit geht eine 22-jährige turbulente Geschichte zu Ende. Die Kaufhausruine wurde 1990 – in den Wirren der Wendezeit – von Künstlern aus der Umgebung besetzt, um eine geplante Sprengung zu verhindern. Erst acht Jahre später wechselte ein Grundstücksensemble mitsamt dem Tacheles den Besitzer. Die Fundus-Gruppe wollte ein Fünf-Sterne-Hotel, Luxusappartements, Büros und Einzelhandel im New-York-Stil errichten. Das Projekt zerschlug sich, und die Grundstücke kamen unter Zwangsverwaltung. Ein Versteigerungstermin wurde im Frühjahr 2011 kurzfristig abgeblasen.

Die Besetzer machten das Haus in den 90er Jahren zu einem angesagten Ort der Off-Kultur, mit Kino, Theatersaal und Ateliers. Die Tanzszene erhielt hier Unterschlupf. Zunehmend eroberten Touristen den bizarren Ort, Kneipen und Werkstätten zogen ein, von hochfliegenden Plänen, einen international bedeutsamen Kunstort zu etablieren, blieb über die Jahre aber nicht viel übrig. Immerhin kultivierte das Haus einen etwas schmuddeligen, antibürgerlichen Szenepunk, der viele Hauptstadtbesucher faszinierte, während die Oranienburger Straße insgesamt zur profitablen Touristenfalle glattpoliert wurde.

Video: Reaktionen auf die bevorstehende Tacheles-Schließung

Anwalt Schultz geht davon aus, dass am Dienstag „Flächen in erheblichem Umfang“ geräumt werden können. Aufgrund „feuerpolizeilicher Mängel“ sei das Gebäude ohnehin schon für Touristen und Besucher gesperrt. Es gebe weder fließend Wasser noch Strom. Schultz war in der Öffentlichkeit bekannt geworden, als er mit einem Millionenbetrag den Betreibern des Kinos im Tacheles den Auszug schmackhaft machte. Später bewegte er immer wieder mit Barschaften einzelne Nutzer zum Verlassen der Ruine. In wessen Auftrag er handelt, will er nicht verraten.

Investor Harm Müller-Spreer, der das Land bei der Entwicklung des Spree-Dreiecks kräftig zur Kasse gebeten hatte, ist jedenfalls nicht der unbekannte Strippenzieher: „Das wäre rausgeschmissenes Geld“, sagte er auf Anfrage. Die Zwangsversteigerung des Areals sei bereits anberaumt, und die bevorstehende Bieterschlacht sei ein „völlig offenes Rennen“.

Eine Perle auf dem Immobilienmarkt

Das Haus steht unter Denkmalschutz, aber für die Tacheles-Künstler gibt es keinen Bestandsschutz. Die verbliebenen Nutzer kämpften juristisch um jeden Quadratmeter des Hauses und der großen Freifläche im Hof. Es kam zu Scharmützeln mit einer privaten Wachschutzfirma, die im Auftrag von Schultz geräumte Flächen bewachte. Der Durchgang zum Innenhof wurde mit einer Mauer verschlossen. Vor einigen Wochen gaben die Künstler auf, nachdem diverse Hilfsappelle an den amtierenden Kultursenator Klaus Wowereit (SPD) verhallt waren.

Bildergalerie: Proteste gegen die Räumung des Kunsthauses

Ohne Künstler dürfte der Wert der Immobilie um etliche Millionen Euro steigen. 2011 gab das Amtsgericht Mitte den Verkehrswert der 25 000 Quadratmeter bester Innenstadtlage mit 35 Millionen Euro an. Im gegenwärtigen Boom für den Bau hochwertiger Wohnungen und Hotels ist das Tacheles-Quartier eine Perle.

Die Pläne für die Bebauung des Areals müssten aus Sicht von Müller-Spreer überarbeitet werden. Büros auf den unteren Etagen, darüber Wohnungen – diese Mischung sei nicht mehr zeitgemäß. Auch müsste die Zahl der Wohnungen erhöht werden. Aber wäre das Grundstück nicht eine wunderbare Gelegenheit für einen gewieften Investor wie ihn? „Das hängt vom Preis ab“, sagt er. Der Markt habe sich erholt, „und wer weiß, bei welchem Preis der Hammer fällt, wenn ein Russe oder ein arabischer Investor kommt“. Gegen die Räumung werde es keine Gewaltaktionen geben, kündigte Tacheles-Sprecherin Cerna an. Ganz ohne ein Happening wird das Herausrücken des mythenbeladenen Hauses aber sicher nicht abgehen.

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