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Berlin: Versuch’s mal mit Gelassenheit

Nicht alles muss zu Weihnachten perfekt sein: Was Familientherapeuten und Fachleute für ein gelungenes Fest raten

Von Sandra Dassler

Vor vier Jahren ist Winni Wachowski ein Engel geworden. Seither kann ihr nichts mehr das Weihnachtsfest vermiesen. „Wenn Ihnen heute die Plätzchen zerfallen, der Baum immer wieder umstürzt und das bei ebay bestellte Geschenk nicht rechtzeitig eintrifft, bleiben Sie gelassen“, rät sie: „Es kommt nur darauf an, dass man Zeit füreinander hat.“ Als Weihnachtsengel besucht Winni Wachowski im Auftrag der Weihnachtsmannzentrale viele Familien. Sie erlebt, dass strahlende Kinderaugen keine Klischees sind und das oft geschmähte Fest immer wieder auch die Herzen der Erwachsenen anrührt. Sie weiß aber auch, warum es manchmal trotzdem nicht gelingt. „Es soll alles perfekt sein: der Baum, der Braten, die Geschenke.“

Tatsächlich sei die extrem hohe Erwartungshaltung an das Fest für viele Menschen ein Problem, meint die Leiterin der Familienberatungsstelle des Diakonischen Werkes Reinickendorf, Ina Hötzel. Das beginne bei der Größe der Geschenke und ende bei den Beziehungen der Familienmitglieder untereinander. Das beste Rezept für ein gelungenes Fest sei daher Offenheit – auch für unangenehme Themen. „Vor Weihnachten kamen viele Eltern in unsere Beratung, deren Budget nicht ausreicht, um den Kindern die oft überzogenen Wünsche nach Edel-Spielzeug oder Markenkleidung zu erfüllen“, erzählt sie. „So etwas kann man aber den Kindern erklären. Man muss ihnen keine heile Welt vorgaukeln, auch nicht beim Weihnachtsfest.“ Wichtiger sei die Zeit, die sich Eltern für ihre Kinder und für einander nehmen. Vor wenigen Tagen hat Ina Hötzel mit Jugendlichen über Weihnachten diskutiert und war erstaunt, wie begeistert die von den Familienritualen am Heiligen Abend erzählten. Dass die jungen Leute sich dann am ersten Feiertag mit Gleichaltrigen treffen wollen, sei normal und sollte von den Eltern oder Großeltern nicht übel genommen werden. Genauso wenig wie das achtlose Aufreißen liebevoll verpackter Geschenke durch kleinere Kinder, die einfach die Spannung nicht ertragen.

Am wichtigsten sei aber, dass beim Familienfest jeder auch Zeit für sich selbst finde. Ob die gestresste Mutter sich für ein halbes Stündchen ins Entspannungsbad legt, die Eltern sich mit guten Freunden treffen oder Vater und Sohn sich an den Computer zurückziehen – all das diene der Entspannung. Und dem notwendigen Abstand, sagt Polizeisprecher Bernhard Schodrowski. Jedes Jahr werden seine Kollegen – spätestens am zweiten Feiertag – häufiger als sonst zu Familienstreitigkeiten gerufen: „Man hockt drei Tage aufeinander, der Alkohol lockert die Zunge, und dann sagt man Dinge, die man sonst verschwiegen hätte.“

Zu Weihnachten brechen oft die Konflikte auf, die das ganze Jahr schwelen, sagt Ina Hötzel. Gerade nach dem Fest kämen viele Paare in ihre Beratungsstelle, die ihre Beziehung verbessern wollten. Aber das sei auch eine riesige Chance: Weihnachten mache auch Menschen ohne religiöse Bindung deutlich, was wichtig sei im Leben. Jeder könne sich darüber freuen, dass er liebe Menschen um sich habe. Und – so banal es manchmal klinge – auch darüber, dass Friede sei.

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