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Berlin: Versuchter Totschlag: Für die falsche Elf gejubelt

Die rothaarige Aurelia M. jubelte bei der Fußballeuropameisterschaft im Juni vergangenen Jahres - aus Sicht ihres Lebensgefährtin allerdings für die "falsche" Mannschaft.

Die rothaarige Aurelia M. jubelte bei der Fußballeuropameisterschaft im Juni vergangenen Jahres - aus Sicht ihres Lebensgefährtin allerdings für die "falsche" Mannschaft. Als sie sich über den Sieg der Italiener über die türkische National-Elf freute, soll Rollstuhlfahrer Mustafa G. seine 56-jährige Lebensgefährtin auf den Balkon getrieben und versucht haben, sie über die Brüstung zu stürzen. Weil Aurelia M. das so bei der Polizei ausgesagt hat, muss sich der 36jährige G. seit gestern wegen versuchten Totschlags vor dem Berliner Landgericht verantworten.

Doch die Zeugin mag über das Geschehen vom 11. Juni 2000 im fünften Stock der Kreuzberger Wohnung des Angeklagten nicht mehr reden. Und sie muss es nicht mehr. "Ich bin seit vier Monaten mit Mustafa verlobt, und Ende des Jahres wollen wir heiraten", erklärte sie, zeigte auf ihren Verlobungsring und machte im Prozess von ihrem Schweigerecht Gebrauch. "Warum verloben Sie sich nach so einem Vorfall", wurde die Frau aus Polen noch gefragt. "Wir haben über das Geschehen geredet und festgestellt, dass es keine Bedeutung hat", sagte die Zeugin den überraschten Richtern.

So blieb die Version des breitschultrigen Rollstuhlfahrers zunächst unwidersprochen. Er hatte vor Gericht von einem Streit berichtet, der von seiner 20 Jahre älteren und "sehr eifersüchtigen" Verlobten am Vortag ausgelöst worden sei. Sie habe ihn verdächtigt, heimlich einen Pornofilm zu gucken. "Wenn Du dafür Geld ausgibst, kannst du mir auch etwas Neues zum Anziehen kaufen", habe sie geschimpft. Am nächsten Tag habe sie ihm eine "kalte Suppe" ins Gesicht gekippt und gedroht, vom Balkon zu springen.

"Ich habe sie nicht geschlagen, ich wollte sie nur beruhigen", sagte der Angeklagte. Von einem leichten Zerren an ihrer Kleidung sprach er. Doch eine Attacke auf dem Balkon, bei der er erst mit einem kleinen Balkontisch und dann mit einem festen Griff an den Hals der Frau versucht haben soll, sie in die Tiefe zu stürzen, habe es nicht gegeben.

Zum Erstaunen des Gerichts sahen das plötzlich auch Zeugen so, die damals wegen der Schreie der Frau die Polizei alarmiert und G. in ihren Aussagen belastet hatte. Ein Nachbar konnte sich angeblich nicht mehr daran erinnern, dass die Polin mit dem Oberkörper über der Brüstung hing. Ein eingeschüchtert wirkender Junge behauptete zunächst, die Frau sei allein auf dem Balkon gewesen. Erst auf Nachfragen sagte der Neunjährige, der Mann sei "ein bisschen" zu sehen gewesen. Am Mittwoch wird der Prozess fortgesetzt.

Kerstin Gehrke

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