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Berlin: Verwüstet, verwahrlost, vergessen?

Keiner kümmerte sich um ein Mahnmal am Bahnhof Grunewald. Der Bezirk weiß nicht, wer zuständig ist

Von Frank Jansen

Es ist nur ein kleines Mahnmal, trotz des monströsen Verbrechens. Auf einer dreieckigen Verkehrsinsel vor dem S-Bahnhof Grunewald liegen seit 1987 drei Eisenbahnschwellen, die an die Deportation der Juden durch die Nazis erinnern sollen. Die Mini-Gedenkstätte war hier die erste für die ungefähr 50 000 Juden, die dort von 1941 bis 1945 in Waggons gepfercht wurden – zum Transport in die Vernichtungslager. Der Zustand des Mahnmals ist allerdings jämmerlich. Zwei Schwellen sind fast komplett von Gebüsch überwuchert. Der dritte Holzbalken, mit der Inschrift „18. 10. 41“, dem Datum des ersten vom Grunewald abgegangenen Transports, stand einst hochkant auf den zwei Schwellen, in der Mitte. Jetzt liegt er vorne umgekippt da, als sei das der Rest einer zerbrochenen Bank. Die Messingplatte mit Daten und der Inschrift „Wir erinnern“, die an der dritten Schwelle hing, ist verschwunden. Das kleine Mahnmal wirkt verwüstet, verwahrlost, vergessen.

„Ich habe vorige Woche entdeckt, wie es hier aussieht“, sagt Linde Hübler. Der Zustand der Gedenkstätte geht ihr besonders nahe. Hübler hat im Oktober 1987 mit der von ihr geleiteten Frauengruppe der evangelischen Grunewald-Gemeinde die drei Schwellen besorgt und die Gedenkstätte eingerichtet. Am 18. Oktober, genau 46 Jahre nach der Abfahrt des ersten Zuges mit deportierten Juden, weihten 200 Menschen nach einem „Bußgang“ durch Grunewald das Mahnmal ein. Doch schon zum Jahreswechsel 1987/1988 rissen Randalierer die Schwellen auseinander. Die evangelischen Frauen gaben nicht auf und kümmerten sich darum, dass die Gedenkstätte wieder errichtet wurde. Außerdem ließen sie die kleine Messingplatte an die obere Schwelle schrauben – „damit sich kein Randalierer damit rausreden kann, er wisse nicht, was hier ist“, sagt Hübler.

1987 gab es auf dem Bahnhofsgelände zunächst nur eine Bronzetafel mit hebräischer Inschrift am ehemaligen Stellwärterhaus. Das Mahnmal des Berliner Senats, die Betonmauer mit den Lücken in der Form menschlicher Körper, wurde erst 1991 eingeweiht. Sieben Jahre später kam „Gleis 17“ dazu, die Gedenkstätte der Deutschen Bahn. Links und rechts vom Schienenstrang ist da auf Metallplatten die Geschichte der Deportationszüge montiert.

Warum aber das kleine Bürger-Mahnmal in Vergessenheit geriet, lässt schon der Text einer modernen Info-Stele vor dem Bahnhof ahnen. Da werden die Bronzetafel und die Mahnmale von Senat und Bundesbahn erwähnt, doch nicht die nur ein paar Schritte entfernte, von den evangelischen Frauen initiierte Gedenkstätte. „Aber bis zum letzten Jahr war es gepflegt“, sagt Hübler. Sie erinnert sich, „manchmal waren sogar Blumen auf den Schwellen abgelegt“. Doch wer für das Mahnmal zuständig ist, weiß Hübler nicht. Als offizielles Dokument kann sie nur eine siebenseitige Erlaubnis zur „Sondernutzung öffentlichen Straßenlandes“ vorweisen, die das Tiefbauamt Wilmersdorf im Oktober 1987 erteilte. Die zierliche Frau hat außerdem nicht mehr die Kraft, die Gedenkstätte selbst herzurichten. Das gilt offenbar auch für die Gemeinde. Hübler hofft nun auf den Baustadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf, Klaus-Dieter Gröhler.

Der am Donnerstag erstmals vom Tagesspiegel befragte CDU-Politiker weiß auch am Freitag noch nicht, wer für die Verkehrsinsel mit dem Mahnmal zuständig ist. Entweder sei es der Bezirk oder der Senat, rätselt Gröhler. Dann gibt er zu, dass seine Abteilung die Aufstellung der Infostele vor dem Bahnhof zu verantworten hat, auf der die kleine Gedenkstätte unerwähnt bleibt. „Aber es entzieht sich meiner Kenntnis, warum sie nicht dargestellt wird“, sagt Gröhler. Doch zuletzt gelobt er Tatkraft: Am Montag werde er „eine Ausbildungskolonne rausschicken“, also eine Gruppe Lehrlinge des Grünflächenamts, die das Mahnmal vom wildwuchernden Grünzeug befreien sollen. Und dann verspricht Gröhler, wisse er auch, wer für die kleine Gedenkstätte zuständig ist. Und wer dann die Strafanzeige erstatten müsste, wegen des Diebstahls der Messingplatte. Auf der neben „Wir erinnern“ schlicht „18. Okt. 41“ und „18. Okt. 87“ stand.

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