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Rollend ins Vergnügen: Vespas und andere Motorroller werden immer populärer. Am 1. Mai beginnt die Vespa-Saison.

© dapd

Vespa-Saison beginnt: Das muss knattern

Nicht nur Kreuzberg hat am 1. Mai seine Rituale: In Schöneberg beginnt an diesem Tag die Vespa-Saison. Hunderte Fahrer treffen sich am Winterfeldtplatz und fahren in Kolonne zur Spinnerbrücke.

Bevor man sie sieht, hört oder riecht man sie schon. Wenn die Vespa-Kolonne angeknattert kommt, vernebelt eine Dunstwolke die Sicht. Jedes Jahr am 1. Mai treffen sich mehrere hundert Fahrer mittags am Winterfeldtplatz in Schöneberg, um die neue Saison zu eröffnen. Anrollern nennen sie das. Über den Kurfürstendamm geht’s dann gegen 14 Uhr bis zur Zehlendorfer Spinnerbrücke an der Avus, von dort über den Kaiserdamm zurück bis zur Siegessäule. Bei der Polizei angemeldet wird die Veranstaltung nicht, es gibt keine Organisatoren. Das Treffen ist eine Tradition, die sich verselbstständigt hat. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen kommen immer mehr Motorrollerfahrer zum Anrollern.

Noch 2004 waren nur eine Handvoll eingefleischte Scooterboys am Start, seitdem wächst die Zahl kontinuierlich. Dieses Jahr sollen es bis zu 400 Vespas werden, die im Stop and Go durch die Stadt tuckern und die Straßen verstopfen.

Das Anrollern ist bester Beleg dafür, dass Motorroller immer beliebter werden. Es gibt die kleinen, 45 km/h schnellen Roller mit 50 cm³ und die größeren Maschinen mit 125 cm³, die bis zu 80 km/h fahren. Wie viele der in Berlin angemeldeten Krafträder Roller sind, ist statistisch nicht erfasst. Fest steht aber, jedes Jahr werden rund 1000 weitere neu zugelassen. Egal, ob der Student aus Prenzlauer Berg, der mit der Vespa zur Uni brettert, oder das verliebte Pärchen, das an den Müggelsee rollt zum Baden und Erdbeerenessen, oder der Jungunternehmer, der ins Büro düst – für viele sind Motorroller das ideale Verkehrsmittel in der Großstadt, zumindest für die Zeit von Mai bis Oktober. Da, wo Parkplätze knapp sind, lässt er sich einfach am nächsten Laternenpfahl abstellen. Und bei Stau kann man sich elegant durch die Reihen schlängeln.

Teilweise erregen die Motorroller aber auch viel Unmut. Das sind Rowdys, die über Bürgersteige brettern oder waghalsig die Fahrspuren wechseln, schimpfen die Autofahrer. Sie sind zu laut, röhren wie Rasenmäher, sagen Anwohner. Als gefährlich gelten sie zudem, weil die Knautschzone fehlt und bereits 16-Jährige damit durch die Gegend rasen dürfen. Vor kurzem hat die Polizei zwei Wochen lang knapp 10 000 Zweiräder kontrolliert, Augenmerk lag aber vor allem auf Motorrädern, nicht auf -rollern.

Tatsächlich sind Motorroller aber weitaus ungefährlicher, als viele annehmen. Laut Unfallstatistik der Berliner Polizei verursachten motorisierte Zweiräder 2011 nur 1,5 Prozent aller Unfälle, halb so viele wie Radfahrer. Umweltschützer wie der Verkehrsclub Deutschland kritisieren außerdem den extrem hohen Benzinverbrauch. Bei vielen neuen Modellen handele es sich zwar bereits um Viertakter, dennoch seien noch immer viele Zweitakter ohne Katalysatoren auf den Straßen unterwegs. Im Sinne umweltverträglicher Mobilität ein klarer Minuspunkt.

Motorroller bleiben dennoch Kultobjekte – weil es so lässig ist, damit durch die Stadt zu fahren, wenn einem der Fahrtwind ins Gesicht bläst. Man braucht keine Motorradkluft, und aufgrund der Blechverkleidung macht man sich auch nicht schmutzig. Vespafahren, das schmeckt nach Sommer. Bei der Morlocks-Scooter-Gang hingegen auch nach abgestandenem Bier und muffiger Jeanskutte. Die Morlocks sind der aktivste von den wenigen verbliebenen Vespa-Clubs in Berlin. 1984 haben sie sich gegründet, heute zählt die Gang zehn Mitglieder. Alles große, grimmige Kerle mit dicken Bierbäuchen, stacheligen Backenbärten, Tattoos und Piercings, die auf ihren Vespas wirken wie Gewichtheber auf Dreirädern.

Für die Morlocks ist das Anrollern einer der Höhepunkte des Jahres, sie organisieren das Rahmenprogramm mit Konzerten und Partys. Über gewöhnliche Vespafahrer rümpfen sie ein wenig die Nase, weil die mit „Automaten und Plastikrollern“ anrücken, wie Roland meint. Roland ist Tätowierer, sein Studio „Wildstyle“ in Neukölln ist der inoffizielle Clubtreff. Im Schaufenster sind Totenköpfe und Glasbongs aufgestellt, davor stehen fünf Gangmitglieder in Bomberjacken und Button-Down-Hemden. Sie selber holen fürs Anrollern ihre Oldtimer aus der Garage, Blech-Vespas aus den Sechzigern mit Handschaltung. Die Motoren haben sie aufgemotzt, von sieben auf 21 PS, die Nadel auf dem Tacho wandert bis 130 km/h, bergab mit Rückenwind.

Die Morlocks fahren das ganze Jahr, anders als die „Schönwetterfahrer“, die sie belächeln. Denn die motten ihre Roller im Oktober meist wieder ein und schieben sie zurück in die Garage. Aber bevor wieder abgerollert wird, steht erst mal der Sommer vor der Tür.

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