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Allzeit bereit. Es gibt viel zu tun in Berlins Heimen und Kliniken. Ärzte haben für ihren Berufsstand eine eigene Kammer, sie kassiert Beiträge hat dafür aber weite Befugnisse. das fordern auch Pfleger und Schwestern. Braucht das Gesundheitswesen eine Pflegekammer?

© ddp

Berlin: Viele Assistenzärzte arbeiten am Rand der Legalität

Gewerkschaft spricht von Diensten mit bis zu 60 Wochenstunden – gegen EU-Recht. Und in vielen Kliniken fehlten Fachmediziner

Zu wenig Fachärzte für chirurgische Eingriffe, zu wenig Pfleger für die Dokumentation der Nachbehandlung – in vielen Berliner Kliniken soll es wegen Personalmangels zu Schlampereien gekommen sein. Das berichten nach der Razzia wegen Betrugsverdachtes in drei Berliner Krankenhäusern mehrere Kenner der Branche. Die Vorwürfe richten sich nicht nur gegen die drei Kliniken des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Dennoch, sagt etwa der Berliner Medizinrechtler Jörg Heynemann dem Tagesspiegel, seien ihm in den DRK-Kliniken regelmäßig nur „rudimentäre Dokumentationen von Behandlungen“ aufgefallen. In mindestens einem Fall seien Protokolle über einen schweren Eingriff lange überhaupt nicht auffindbar gewesen, später allenfalls als Kopie. „Dort gibt es entweder zu wenig Personal für sorgfältige Dokumentation oder zu wenig verbindliche Vorgaben“, sagte Heynemann. Außerdem habe er auffallend viele Arzthaftungsfälle – also rechtlich verfolgbare Medizinerpannen – in den DRK-Kliniken gezählt.

Die Krankenhausleitung widersprach den Vorwürfen. Bisher habe man fast jeden Prozess gewonnen. Auch die Berliner Ärztekammer konnte nicht bestätigen, dass in den DRK-Kliniken besonders viele Pannen passierten. Wohl aber gebe es in den meisten Berliner Häusern einen Trend zum Fachärztemangel. In vielen Kliniken seien Mediziner außerdem weiter bis zu 60 Stunden wöchentlich im Einsatz, berichten Personalvertreter. Rund 7700 Klinikärzte gibt es in Berlin. Der Marburger Bund (MB) arbeitet derzeit an einer Studie zur Arbeitsbelastung in den Kliniken. Bei der Ärztegewerkschaft verweist man auf die schweren Vorwürfe gegen die Berliner Krankenhäuser vor zwei Jahren. Rund 40 Prozent der vom Verband befragten Klinikärzte gaben an, sie seien zu gesetzeswidrigen Diensten gezwungen worden. „Selbst mit Einwilligung des Arztes sind 60 Stunden die Woche verboten“, sagte MB-Sprecher Hans-Jörg Freese. Die Europäische Union hatte 48 Stunden pro Woche mit wenigen Ausnahmen als Höchstgrenze festgelegt.

Seit Mittwoch sitzen der DRK-Chefarzt Hermann Josef S., 48 Jahre, und die Geschäftsführer Thomas K., 56, und Alexander P., 41, in Untersuchungshaft, es bestehe Flucht- und Verdunklungsgefahr. Von der Staatsanwaltschaft hieß es am Freitag, die Verdächtigen hätten sich bisher nicht zur Sache geäußert. Im Zentrum der Ermittlungen steht der Vorwurf, wonach Patienten mit Gefäßkrankheiten zwar den üblichen Angiografien unterzogen worden seien – Röntgenverfahren, bei denen Kontrastmittel in die Blutbahnen gespritzt werden. Die dazu berechtigten Fachärzte sollen dies jedoch an Assistenzärzte delegiert, die Abrechnung aber selber unterschrieben haben. Es soll ein „repressives Klima“ geherrscht haben. Unklar ist nach wie vor, inwiefern der beschuldigte Chefarzt an etwaigem Betrug verdient haben könnte. Ob S. etwa mit der Klinik eine Vereinbarung über Zusatzvergütungen hatte, wenn er besonders viele Patienten behandele, wurde vom Krankenhaus auch am Freitag nicht bestätigt.

Andere Berliner Kliniken haben reagiert; auch wenn schärfere Kontrollen vorerst nicht geplant seien, wie eine Sprecherin von Vivantes sagte. Aus der Charité hieß es, man habe aus aktuellem Anlass die Mitarbeiter an ihre Pflicht zur „persönlichen Leistungserbringung“ erinnert, es wurde aber auf bestehende Regeln verwiesen, durch die Täuschungen „ausgeschlossen“ seien. Dem Vernehmen nach reicht es der Universitätsklinik, dass die Mitarbeiter sich per Unterschrift zu den „vertragsarztrechtlichen Bestimmungen“ verpflichten. Helios-Sprecherin Constanze von der Schulenburg betonte die Notwendigkeit eines Vertrauensverhältnisses zwischen Konzern und Chefärzten. Deren Aufgabe sei es, einen drohenden Fachärztemangel anzuzeigen und nicht auf Assistenten zurückzugreifen. Nun überprüfe man aber erneut, ob überall ausreichend Personal vorhanden sei.

Eine Patientenhotline der DRK-Kliniken ist ab kommenden Montag 8 Uhr geschaltet: 030 / 30352222

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