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An zahlreichen Erkrankungen von Kindern in Berlin und Brandenburg soll das Schulessen schuld sein. Die betroffenen Einrichtungen bezogen das Essen alle von dem selben Lieferanten.

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Update

Virus-Epidemie: Tausende Kinder durch Schulessen erkrankt - 400 in Berlin

Wie eine Epidemie breitet sich derzeit ein Magen-Darm-Virus bei Schul- und Kita-Kindern in Berlin und Brandenburg aus - auch weitere Bundesländer sind betroffen. Bei der Ursachensuche steht ein Caterer aus Werder an der Havel unter Verdacht.

Über 4000 Schul- und Kita-Kinder sind bundesweit durch die Virus-Epidemie erkrankt, heißt es bei Bund und Ländern. Allein in Berlin waren bis zum Donnerstagabend 400 Schul- und Kitakinder an Erbrechen und Durchfall erkrankt, in Brandenburg gibt es 1115 Fälle. Betroffen seien in Berlin Kinder in Schulen und Kitas aus Reinickendorf, Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Tempelhof-Schöneberg und Charlottenburg-Wilmersdorf, sagte eine Sprecherin der Senatsgesundheitsverwaltung auf Anfrage. Die Erkrankung sei bei den meisten Patienten „relativ unproblematisch“ verlaufen.

Nach ersten Erkenntnissen der Senatsgesundheitsverwaltung wurde in Berlin niemand in ein Krankenhaus gebracht. Vorsorglich seien aber alle Aufnahmekrankenhäuser und der Rettungsdienst der Feuerwehr informiert worden.

Anders als in anderen Bundesländern war laut Emine Demirbüken-Wegner, Staatssekretärin der Gesundheitsverwaltung, bis Donnerstagabend nicht bekannt, ob auch in Berlin Schulen geschlossen werden mussten. Nach Tagesspiegel-Informationen hat eine Schule in Lübars den Betrieb eingestellt. Besorgten Eltern werde geraten, ihren Kindern selbst etwas zu Essen mitzugeben, sagte Demirbüken-Wegner.

Ursache für die rasante Ausbreitung von Magen-Darm-Erkrankungen ist offenbar verunreinigtes Schulessen, das in mehreren Bundesländern ausgeliefert wurde. Insgesamt leiden rund 4 000 Schul- und Kitakinder vornehmlich im Osten Deutschlands an Erbrechen und Durchfall. Betroffen sind neben Berlin und Brandenburg auch die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Das sächsische Gesundheitsministerium rechnet mit einer bundesweiten Ausbreitung. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI), das die Ermittlungen leitet, mussten einige Erkrankte stationär behandelt werden.

In Verdacht, kontaminiertes Essen geliefert zu haben, steht die Catering-Firma Sodexo aus Thüringen, die Schulen und Kitas beliefert und drei Standorte in Brandenburg hat. Die Hygienemaßnahmen seien verstärkt worden, hieß es. „Wir nehmen an, dass verdorbene Tiefkühlnahrung die Ursache war“, sagte Potsdam-Mittelmark-Landrat Wolfgang Blasig. Laborergebnisse, ob es sich um den Noro-Virus handelt, werden für Freitag erwartet. Erst dann wird über einen Lieferstopp entschieden. Ein Sodexo-Sprecher sagte, es gebe keinen Beleg dafür, dass die Ursache durch verunreinigte Nahrungsmittel oder einen Mitarbeiter verursacht wurde. Die Produktion werde nicht eingestellt, da die Behörden davon ausgingen, dass es sich um eine einmalige Verunreinigung handle.

Alle betroffenen Schulen wurden vom selben Lieferservice – der thüringischen Firma Sodexo – mit Essen versorgt. Das Unternehmen hat auch einen Sitz in Werder (Havel). Die Hygienemaßnahmen seien verstärkt worden, hieß es in einer knappen Stellungnahme des Unternehmens. Aktuell lägen keine Belege dafür vor, dass eine Erkrankung durch Essen oder eine Übertragung durch einen Mitarbeiter erfolgt sei, so ein Sodexo-Sprecher. Die Behörden gehen inzwischen davon aus, dass einmalig, vermutlich am Dienstag, kontaminiertes Essen ausgeliefert wurde. Der Catering-Betrieb sei deshalb nicht geschlossen worden. „Es handelt sich fast ausschließlich um leichte Krankheitsverläufe, bisher wurde erst ein Kind stationär ins Krankenhaus aufgenommen“, sagte Antje Reschke vom brandenburgischen Gesundheitsministerium. Noch werde ermittelt, ob es sich um eine bakterielle oder virale Erkrankung handle. Weil auch aus anderen Bundesländern Fälle gemeldet wurden, hat das Robert-Koch-Institut die Federführung der Ermittlungen übernommen.

In enger Absprache mit den Behörden werde durch Sodexo auch am Freitag Essen ausgeliefert, aber ohne Tiefkühlware, sagte Potsdam-Mittelmarks Landrat Wolfgang Blasig (SPD). Das Unternehmen habe in Absprache mit den Behörden „umgehend grundlegende Untersuchungen von Lieferscheinen, Temperaturkontrollen und Speiseplänen vorgenommen, um dabei zu helfen, Ursachen aus dem Lebensmittelbereich auszuschließen“. Zudem seien Proben der ausgelieferten Speisen zur Untersuchung gegeben worden. „Wir gehen inzwischen allerdings davon aus, dass von Sodexo zugekaufte Tiefkühlnahrung verdorben war“, sagte Blasig und bestätigte damit einen Bericht der Bild-Zeitung. Ob es sich tatsächlich um eine Noro-Virus-Infektion handle, könne voraussichtlich erst Freitagmittag geklärt werden, sagte Blasig. Erst dann werde über einen Lieferstopp entscheiden. „Neben Nahrungsmittelproben sind zum eindeutigen Nachweis auch Stuhlproben der erkrankten nötig.“ Die Behörden in den betroffenen Bundesländern ordneten Desinfektionen der Produktionsstätten an.

Zuvor hatte das Landratsamt Saalfeld-Rudolstadt in Thüringen mitgeteilt, dass am Dienstag - als das womöglich kontaminierte Essen ausgeliefert wurde - drei bis vier Menüs auf dem Speiseplan des im Verdacht stehenden Unternehmens aufgeführt gewesen seien. Welches davon die Erkrankungen verursacht habe, sei noch unklar. Es , dass es sich um eine lebensmittelbedingte Erkrankung handele, sagte die Sprecherin des Robert-Koch-Instituts. Darüber hinaus seien für die Küchen umgehend eine gründliche Verstärkung der Hygienemaßnahmen veranlasst worden.

In Potsdam-Mittelmark sind nach jetzigen Erkenntnissen Schulen und Kitas in Brandenburg (Havel), Werder (Havel), Caputh, Stahnsdorf und Neuseddin betroffen. Im Herbst und Frühling treten Noro-Virus-Infektionen zwar häufiger auf, sagte Amtsärztin Johanna Aulich vom mittelmärkischen Gesundheitsamt den PNN. An einen Ausbruch diesen Ausmaßes könne sie sich aber nicht erinnern. Im ganzen vorigen Jahr wurden in Potsdam-Mittelmark insgesamt 490 Noro-Virus-Fälle gemeldet. Bis zum Abend waren Fachleute des Kreises vor Ort im Einsatz und versuchten, über Proben von Essensresten die genaue Ursache zu ermitteln. Aulich: „Das A und O für alle ist jetzt Hände waschen.“

In Werder sind 51 Kinder der Hagemeister-Grundschule und 40 Schüler des Haeckel-Gymnasiums erkrankt. In Stahnsdorf wurden am Donnerstag die beiden kommunalen Grundschulen geschlossen – Unterricht hätte aufgrund der hohen Krankheitszahlen nicht mehr stattfinden können, sagte Vize-Bürgermeisterin Anja Knoppke. Am Freitag soll der Unterricht für die gesunden Kinder weitergehen. Beide Schulen werden desinfiziert, so Knoppke.

Der Caterer Sodexo hat erst zu Schuljahresbeginn die Versorgung der Stahnsdorfer Schulen übernommen. Die Kommune ist verpflichtet, den Dienst alle paar Jahre neu auszuschreiben, Sodexo hatte den Zuschlag erhalten. Das Unternehmen beliefert auch die Schulen im benachbarten Kleinmachnow – dort waren bis zum Donnerstagabend jedoch noch keine Verdachtsfälle bekannt geworden, wie Bürgermeister Michael Grubert auf Anfrage sagte. Auch in Potsdam werden neun Schulen und sieben Tagesmütter von Sodexo versorgt. Dort waren bis zum Abend lediglich einige leichte Fälle an Kitas bekannt. „Die aber sind nicht auf Sodexo zurückzuführen“, sagte Stadtsprecher Jan Brunzlow den PNN. Man sei aber alarmiert und beobachte die Situation weiter.

Sodexo hat laut Amtsärztin Aulich am Mittwoch rund 10 000 Portionen Schulessen ausgeliefert – nicht alleine im Land Brandenburg. Hart getroffen hat es vor allem den Raum Chemnitz (Sachsen): 200 Kinder erkrankten, sechsmal wurde dort eine Noro-Virus-Infektion definitiv nachgewiesen. In der Stadt selbst wurden neun Schulen geschlossen, in Döbeln machten gleich alle sieben Einrichtungen zu. Bis Montag sollen die Schulen dort geschlossen bleiben.

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