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Berlin: Visionen – das Kapital der Städte

Hamburg baut bereits an seiner Zukunft – mit der neuen Hafencity

Wo sind städtebauliche Visionen in Berlin? Wo ein Projekt, das auf Jahre hinaus begeistern oder leidenschaftlich diskutiert werden kann? Verglichen mit Hamburg, das sein Projekt Hafencity eifrig vorantreibt, scheint Berlin nicht mithalten zu können.

Was kann Berlin von Hamburg lernen? Vielleicht die Konzentration auf ein bestimmtes Ziel. In Berlin aber ist das öffentliche Interesse am Städtebau erlahmt. Es ist fast zehn Jahre her, dass der Aufbau des Potsdamer oder Pariser Platzes oder des Regierungsviertels Aufsehen erregte. Die Planung für die spätere Nutzung des Flughafens Tempelhof dümpelt dahin, für die Zukunft Tegels gibt es gar keine Vorstellungen. Für die Umgebung des Hauptbahnhofs wird noch nach Konzepten gesucht. Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) versteht diesen Vorwurf nicht und verweist auf Berlins Lebensqualität.

Berlin habe es verstanden, nach der Wende alle architektonischen Visionen abzuwenden, meint dagegen Klaus-Peter von Lüdeke von der FDP. Die Stadtplanung sei auf Traufhöhe fixiert, ihr fehlten Visionen und der Mut, architektonische Dimensionen zu sprengen. Die Stadt sei „geradezu übersättigt“ von den Veränderungen der letzten Jahre, brauche eine Verschnaufpause, erwidert dagegen Senatssprecher Michael Donnermeyer. Der Hauptbahnhof werde ein städtebaulicher Antriebsmotor, glaubt Projektentwickler Herbert Brandt von der Vivico. Die Gesellschaft will das benachbarte „Lehrter Stadtquartier“ entwickeln. Er hofft, dass auch die wachsende Nachfrage nach Wohnungen Visionen bestärkt. C. v. L.

Unterm ersten Stockwerk des ehemaligen Reedereigebäudes plätschert die Elbe, am anderen Ufer wird der Kaispeicher B, in dem früher Getreide lagerte, zum „Internationalen Maritimen Museum“ umgebaut. Wo heute noch der alte Hafenschuppen 22 steht, wird die Hafencity-Universität entstehen. Ein Barkasse tuckert vorbei. Schöne Aussichten. Jürgen Bruns-Berentelg blickt auf bunte Pläne, sieht um sich eine neue Stadt entstehen. Eine Vision wird Wirklichkeit. Wenn der Manager aber an Berlin denkt, wird er traurig. „Die Stadt vergibt viele Chancen. Es tut mir leid, dass sich so wenig bewegt.“ Jürgen Bruns-Berentelg war acht Jahre lang als Projektentwickler am Potsdamer Platz und am Hauptbahnhof beteiligt. Er vermisst in Berlin Visionen. Er selbst hat sie – als Chef der Gesellschaft Hafencity.

In der Hansestadt, sagt er, gebe es die Grundhaltung, die Stadt voranzubringen, nicht nur Probleme zu lösen. „ Es ist die Idee der wachsenden Stadt.“ Das sei keine platte Wachstumsideologie, sondern führe zu einem zusätzlichen Aufbruchklima.“ Wirke sich auf die Luftfahrtindustrie aus, auf die Erweiterung des Messegeländes, bündele sich aber vor allem im Hafencity-Projekt. „Wir sind auf den Zuzug von Menschen angewiesen.“

Derzeit laufen über 20 Archtitektenwettbewerbe, beteiligt am Projekt sind berühmte Planer wie David Chipperfield, Ingenhoven und Partner, Léon Wohlhage oder Herzog & de Meuron. Allein rund 5000 Wohnungen sollen hier gebaut werden, 40.000 Arbeitsplätze entstehen. Die ersten Häuser sind schon errichtet. Die aus einem Speicher wachsende Elbphilharomie wird zu den Flaggschiffen des Projekts gehören. Dass die Kreuzfahrtschiffe hier anlegen, hat die Hafencity noch stärker ins Bewusstsein der Hamburger gebracht. „In Berlin“, sagt Bruns-Berentelg, „war der Potsdamer Platz überwiegend ein Marketingthema für Investoren. Wir vermitteln aber die Wahrnehmung, dass die Innenstadt Hamburgs größer wird; sie ist Teil einer gesamtstädtischen Öffentlichkeit.“

In der Hafencity stecken bislang 1,8 Milliarden Euro Privatinvestitionen. „Wir sind über die erste kritische Phase hinaus.“ Insgesamt sollen bis zu 5 Milliarden Euro private Gelder fließen, dazu etwa 1,3 Milliarden öffentlicher Mittel für den Bau von Straßen, Plätzen und öffentlicher Promenaden, einer U-Bahn und Schulen. Auch für den Hochwasserschutz. Die GAL-Fraktion in der Bürgerschaft vermutet, dass nur Wohnungen für Gutbetuchte gebaut werden. Aber gegen das größte Bauprojekt Europas „gibt es keine Gesamt-Opposition im Parlament“, sagt GAL-Fraktionschef Wilfried Mayer. Die Hafencity kann sich in allgemeinem Wohlwollen sonnen.

Ihr Chef, der gerade Chicago, Philadelphia, Washington besucht hat, spricht von der Aufbruchsstimmung, die ihn dort begeistert habe. Berlin wirke auf ihn so defensiv. Es sei nicht gut gewesen, an der Spree in den 90er Jahren so viele Projekte zu gleicher Zeit zu entwickeln. Die Stadt habe nicht die Wachstumsraten, alles gleichzeitig voranzubringen. Sie brauche städtebaulich die Konzentration auf ein, zwei ortsbezogene Themen mit überregionaler Bedeutung. Dazu gehöre das Gebiet nördlich des Hauptbahnhofs, dass bei der Einfahrt mit dem Zug „wie ein Sanierungsgebiet“ aussehe, aber einer der zentralen Orte der Stadt Berlin sei. Die Stadt selbst sollte das Areal entwickeln, gegebenenfalls über den Grundstücksfonds eine eigene Steuerungsfähigkeit sichern.

Das Hafencity-Projekt sei ein „Kronjuwel“. Die Gesellschaft entwickelt und plant und vermarktet den Standort. Die meisten Grundstücke gehören der Stadt. Baugenehmigungen werden innerhalb von zwei, drei Monaten erteilt. Mit Krediten finanziert man die Entwicklung, getilgt werden sie durch den Verkaufserlös der Grundstücke. Dabei gilt nicht das Höchstpreisgebot. Bewerber müssen ein überzeugendes Konzept vorweisen, einen Architektenwettbewerb veranstalten, den Boden untersuchen, einen Bauantrag stellen.Der Kaufvertrag wird geschlossen, wenn Baugenehmigung vorliegt. „Wir sichern Qualität,“ sagt Bruns-Berentelg. Wohnungsbau gebe es auch für Normalverdiener, Investoren seien auch Baugenossenschaften. Geplant seien auch altengerechte Wohnungen, Experimentalhäuser, auch Luxuswohnungen. 40.000 Quadratmeter Einzelhandel sind vorgesehen, ein Shopping-Center ist nicht geplant, sondern Einzelhandel in 16 Häusern.

Der Hafencity-Aussichtsturm direkt am Elbufer ist zum Anziehungspunkt für Hamburger und Touristen geworden. Eine Buslinie fährt dorthin. Die Leute schauen interessiert auf die ersten Häuser und lassen die Phantasie spielen. Sie stellen sich vor, dass hier die Stadt bald an den Hafen reicht. Vielen kann es nicht schnell genug gehen.

Christian van lessen

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