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Nicht alle Bürger, die das Tempelhofer Feld nutzen, dürfen auch über seine Zukunft abstimmen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Volksentscheid Tempelhofer Feld: Fatma hat in Berlin keine Wahl

Beim Volksentscheid zum Tempelhofer Feld darf jeder sechste Bürger nicht abstimmen. Die Wahlleiterin findet das "systemgerecht". Dagegen regt sich nun Bürgerprotest.

Wenn die Sonne scheint, kommen sie auch aufs Tempelhofer Feld. Türkische und arabische Mamas mit einem Gartenhandschuh, einem Kopftuch und einer kleinen Schippe ausgestattet. Sie huschen zwischen den Gemeinschaftsgärten auf der Neuköllner Seite, düngen, gießen und ernten Kräuter und Gemüse. Fatma, eine ältere Frau um die 60, zuckt beim Thema Wahlrecht nur mit den Schultern. Beim Volksentscheid in Berlin, der die Zukunft des ehemaligen Flugareals zwischen Tempelhof und Neukölln besiegeln wird, darf Fatma neben 487000 Berlinern nicht abstimmen. So viele volljährige Ausländer leben in der Hauptstadt, laut der aktuellsten Erhebung des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg – jeder sechste Berliner. Weder bei Volksentscheiden noch bei Abgeordneten- oder Bundestagswahlen darf sie mitwählen. Fatma besitzt nämlich nur die türkische Staatsbürgerschaft, obwohl sie seit „einer Ewigkeit“ fußläufig vom Tempelhofer Park lebt.

Auch EU-Ausländer sind betroffen

In den Bezirken rund um das Feld wohnen wie berichtet etwa 160000 Menschen, die teilweise in der direkten Nachbarschaft leben, aber kein Mitspracherecht haben. Laura Lelli wohnt im Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Als italienische und iranische Staatsbürger dürfen sie und ihr Mann auch nicht abstimmen. Denn anders als bei der Europawahl sind EU-Ausländer vom Referendum ausgeschlossen. Volksentscheide sind in Berlin analog zur Abgeordnetenhauswahl geregelt: Nur deutsche Staatsbürger dürfen abstimmen. Das Ehepaar Lelli darf nur bei den Wahlen für die Bezirksverordnetenversammlung als Kommunalwahl und bei der Europawahl mitmachen, für Entscheide auf Landes- und Bundesebene sind alle Passausländer ausgeschlossen. „Das ist einfach nur blöd“, kommentiert die 55-jährige Sekretärin, die seit 31 Jahren in Berlin lebt. „Menschen nutzen den Tempelhofer Park unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit.“

Diesmal nur ein symbolisches Wahllokal

Migrantenverbände, Gewerkschaften und Parteien wie die Piraten, die Grünen, die Linke und Teile der SPD fordern in Berlin nun eine Gesetzesänderung. Julia Miri Lehmann und Gizem Adiyaman engagieren sich beim daraus entstandenen Bündnis „Wahlrecht für Alle“. Sie wollen, dass Laura, Fatma und die anderen beim Volksentscheid um die Zukunft des Tempelhofer Feldes abstimmen dürfen. „Wir wollen Wahlrecht für alle auf Landesebene, die Bundestagswahlen sind ja sowieso so etwas wie ein Heiliger Gral“, sagt Lehmann. Die Landeswahlleiterin für Berlin, Petra Michaelis-Merzbach, erkennt dagegen kein Problem: „So wie es jetzt ist, ist es systemgerecht. Wenn deutsche Staatsbürger im Abgeordnetenhaus sitzen, ist es gerecht, wenn nur deutsche Staatsbürger in Berlin stimmberechtigt sind“, sagt Michaelis-Merzbach. Das Bundesverfassungsgericht hat das Wahlrecht 1990 auf das „deutsche Volk“ eingegrenzt, also auf deutsche Staatsbürger. Für ein Wahlrecht für Ausländer muss das Grundgesetz geändert werden, dafür bedarf es einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag und gesellschaftlicher Akzeptanz. Einen Tag vor dem Wahlsonntag, am 24. Mai, organisiert das Bündnis deswegen einen Aktionstag auf dem Tempelhofer Feld mit einem symbolischen Wahllokal unter dem Motto „Jede Stimme zählt“.

Fatma hat keine Wahl

Von dem auch für sie bedeutenden Volksentscheid hat auch Oma Fatma aus Neukölln gehört. Am Eingang zum Feld stünden immer Menschen, die ihr irgendwelche Flyer in die Hand drücken, aber sie habe nicht wirklich darüber nachgedacht. Schade findet sie es, dass hier auf ihren Gemeinschaftsgärten vielleicht bald gebaut werde. Sie werde ein Wahlrecht für alle aber eh nicht mehr erleben, macht sie auf Türkisch-Deutsch verständlich. Deswegen will sie sich nun lieber weiter auf ihre Kräuter konzentrieren.

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