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Aus vollem Hals. Aktivisten gegen Wohnungsräumungen enterten die Debatte. Auch Reiner Wild vom Mieterverein (r.) konnte sie zunächst nicht beruhigen.

© Mike Wolf

Volksentscheid Tempelhofer Feld: Weites Feld, lauter Streit

Der Tagesspiegel lud zur Diskussion über den Tempelhofer Park in die Urania. Der Abend geriet hitzig. Es ging um Mieten, Mischung, Mobilität – und die ganz persönliche Freiheit von Stadtentwicklungssenator Müller.

Einen ruhigen Moment gönnte sich Michael Müller an diesem Abend. „Ich genieße es als Anwohner auch, am Tempelhofer Feld zu stehen und bis zum Horizont zu gucken“, erzählte der Stadtentwicklungssenator. Bei den 300 Zuhörern in der Urania kehrte plötzlich Stille ein – schließlich setzt sich der SPD-Politiker vehement für den Bau von 1700 Wohnungen und ein neues Gewerbegebiet auf Berlins größter Freifläche ein. „Allerdings gibt es Zwänge, die ich als Politiker nicht ignorieren kann – zum Beispiel den Bedarf an neuen Wohnungen.“ Da wurde es wieder turbulent auf der Podiumsdiskussion, die das Berliner Bürgerforum veranstaltete und Robert Ide, Leiter der Berlin-Redaktion im Tagesspiegel, moderierte.

Doch bevor hitzig über die offene Zukunft des Tempelhofer Feldes debattiert wurde, enterten zunächst Aktivisten das Podium und hielten Transparente hoch, als Müller ein Impulsreferat halten sollte. Lautstark protestierten sie gegen die Zwangsräumung der Wohnung einer Familie „afrikanischer Herkunft“ aus einer Sozialwohnung in Charlottenburg: „Ob Mohamed, ob Kalle, wir bleiben alle“, riefen sie. Nach lauten Tumulten begleitete die Polizei die Besetzer vor die Türen der Urania. Müller verzichtete auf seinen Vortrag; danach stritten sich Gegner und Befürworter ebenfalls lautstark über das Hauptthema des Abends: Bauen oder nicht?

Michael Schneidewind vertrat die Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“, die den Volksentscheid gegen die Bebauung des Gebietes durchgesetzt hatte. Er ist regelmäßiger Nutzer des Feldes – wies aber den Vorwurf zurück, nur aus Eigeninteresse zu handeln und Veränderungen aus Prinzip abzulehnen. „Es geht uns nicht um Partikularinteressen“, rief der Stadtplaner. „Es geht darum, dass der Senat nicht in der Lage ist, für alle Berliner zu entscheiden und zu planen.“ Diese Sätze brachten Müller und einen Teil des Publikums in Wallung. „Leute kommen wegen Mobilität und Komfort in die Stadt. In Tempelhof haben wir das, wollen deswegen dort Wohnungen bauen und auch den öffentlichen Nahverkehr ausbauen.“ Ein Verkehrskonzept für das Feld konnte Müller allerdings nicht präsentieren. Schließlich ist der Tempelhofer Damm schon jetzt oft verstopft.

„Hat der Senat nicht vor allem in Sachen Transparenz versagt?“, fragte Moderator Ide. Hier immerhin gab Müller Fehler zu und sagte, auch er lerne in Sachen Bürgerbeteiligung dazu. Deshalb sei der Masterplan bereits überarbeitet worden – und könne auch nach der Abstimmung weiter justiert werden.

Das freute viele Teilnehmer auf dem Podium. Petra Hildebrandt, Prokuristin bei der landeseigenen Stadtbaugesellschaft WoBeGe, hob die „einmalige Chance“ hervor, Wohnungen mit Sozialtarifen und im höheren Preissegment zu errichten – „denn ein gemischtes Wohnquartier bleibt lange lebhaft“. Reiner Wild vom Berliner Mieterverein forderte dagegen mindestens 50 Prozent neue Sozialwohnungen. Deshalb empfiehlt sein Verband, sowohl gegen das Gesetz der Initiative als auch gegen das Gesetz der Koalitionsfraktionen zu stimmen. Diese Einlassung sorgte bei Teilen des Publikums für Gelächter und Buhrufe.

Ähnliche Reaktionen erntete Christian Wiesenhütter von der Industrie- und Handelskammer, als er sagte: „Wir wollen gesund wachsen, ohne die Mietpreise zu erhöhen.“ Auch Wiesenhütter zeigte sich angesichts der Zukunftspläne flexibel – auch was Anzahl und Art des zu entstehenden Gewerbes betrifft: „Bikestationen könnten hier ganz gut passen.“

Vieles ist also noch offen – und wird es auch nach dem Volksentscheid bleiben. Gerade die Offenheit und Weite macht ja derzeit das Feld aus, das der bekannte Stadtplaner Hildebrand Machleidt vom Bürgerforum treffend als „innere Peripherie der Stadt“ beschrieb. Das fand im Publikum Beachtung; ein Gast berichtete, für ihn sei diese Peripherie gerade sein ganz persönliches „Zentrum der Stadt“. Ein anderer forderte eine Speakers Corner wie in Londons Hyde Park.

Muss das Feld also für immer frei bleiben? Das wollte selbst Bebauungsgegner Schneidewind nicht fordern. Er schloss eine spätere Bebauung nicht aus, auch wenn er am 25. Mai eine Mehrheit überzeugen sollte: „Jedes Gesetz ist veränderbar.“ Müller reagierte empört. „Seien Sie ehrlich: Es geht um Stillstand: Ja oder Nein.“ Und so endete die Debatte, wie sie begonnen hatte: laut und emotional.

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