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Berlin: Volle Panik

Dreißig Jahre und kein bisschen leise: Mit einer Jubiläumstournee feiert Udo Lindenberg sein Bühnenjubiläum. Auch mancher alte Fan erinnert sich gern an die gemeinsam verbrachten Konzertstunden – zum Beispiel auf dem Schützenplatz Celle

Mensch, Gerhard Gösebrecht, wie mag es dir gehen? Verdammt lange her, die Göttinger Studentenzeiten. Sorry, aber dein richtiger Name ist leider nicht mehr präsent. Ob man dich immer noch so nennt wie den Besucher aus dem dreizehnten Sonnensystem, den Udo Lindenberg einst als Anhalter an der Autobahn traf und der prompt zu einem Song mutierte? Das war für die LP „Ball Pompös“, 30 Jahre ist es her. Was wäre nur aus uns geworden, wenn Udo tatsächlich mit dem Ufo auf und davon wäre, um Minister für Kosmosrock zu werden?

Na, er jedenfalls sähe ganz anders aus, hätte nun selbst Drähte in der Nase und Antennen an den Ohren, wäre grün im Gesicht. Auf jeden Fall kaum auf den Hut angewiesen, der längst mit seinem Kopf verwachsen ist – das Gegenteil muss man uns erst mal beweisen. Und schon gar nicht würde Udo noch wie gestern Abend in ein irdisches Hotel wie das Maritim an der Friedrichstraße bitten, um seine Jubiläumstournee vorzustellen und Rückblick zu halten auf ein jahrzehntelanges Rock’n’Roller-Leben. Die Konzerte fänden wohl in irgendwelchen fernen Galaxien statt und nicht wie beispielsweise am 15. Februar in der Treptower Arena.

Wie auch immer – drei Jahrzehnte Udo Lindenberg, also auch drei Jahrzehnte Panikorchester, sind Anlass genug, sich zu besinnen auf die gemeinsam mit ihm verbrachten Stunden, er oben auf der Bühne, wir unten. Zum Beispiel bei dem legendären Konzert auf dem Schützenplatz Celle, es muss so im Sommer 1977 gewesen sein – vom Schlosskreis Celle, sozusagen der dortigen AG City, als Höhepunkt der Celler Woche engagiert. Das war eigentlich eine Nummer zu groß für die betuliche Herzogstadt. Auch an diesem Abend mussten um zehn Uhr die Bürgersteige hochgeklappt werden, aber es blieb doch eine Sternstunde der Celler Rockgeschichte: Udo in roter Lederhose und Fantasiefrack, an seiner Seite Ulla Meinecke, die sich noch als Rocklady versuchte. Möglich, dass er auch Gerhard Gösebrecht beschworen hat, auf jeden Fall aber die „Andrea Doria“, „Rudi Ratlos“, vielleicht auch „Angeilika aus Winsen an der Luhe“, die ließ nämlich keinen Star in Ruhe.

Ob es den Cellern („Na, ihr süßen Heidschnucken?“) klar war, dass auf der Bühne gerade ein Kapitel Musikgeschichte aufgeklappt wurde? Denn erst mit Udo Lindenberg hatte die deutsche Popmusik doch den Sprung vom Schlager zum Rocksong geschafft. Niedecken, Westernhagen, Grönemeyer? Ohne Udos Pionierarbeit undenkbar. Und die mehr genuschelten als gesungenen Texte mit ihrer respektlos-schnoddrigen Irgendwie-Poesie haben seine jugendlichen Hörer vielleicht mehr beeinflusst als sie damals ahnten. Man könnte sogar sagen, der Einfluss war wahnsinnsmäßig.

Dass Udo damals den Ton der Zeit traf, hatte sich bald rumgesprochen, auch unter den Vertretern der Hochkultur. Bei Peter Zadek beispielsweise, der 1979 die Tournee der „Dröhnland Symphonie“ inszenierte. Riesenshow damals, in Hannovers Niedersachsenhalle: Mehr eine Rockrevue, die Songs mit einer Freakshow illustriert, mit Catchern, Zwergen, Vamps – und natürlich Rudi Ratlos leibhaftig. Auch ein Stargast war dabei: Eric Burdon. Er trug wohl ebenfalls eine Lederhose, doch bei „We gotta get out of this place“ röhrte er Udo glatt an die Wand.

Den „Sonderzug nach Pankow“ haben andere bestiegen, vom Tauschhandel mit Honecker – Lederjacke gegen Schalmei – erfuhr man immerhin aus der Zeitung. Aber dann 1988 im Metropol am Nollendorfplatz, da kreuzten sich die Wege wieder. Mehr ein Werkstattkonzert, aber vielleicht war auch das scheinbare Üben nur Show, aber eine schlechte. Udo strebte aus der Welt der „Sister King Kong“, der „Lady Whisky“, des „Jonny Controletti“ zu Höherem, zu Hans Albers, Eisler und Marlene. Manch einer seiner alten Anhänger fand das nicht mehr so lustig. Immerhin, die Panikfamilie war noch dabei.

Bei der letzten Begegnung spielte sie kaum noch eine Rolle: unser Udo in der Deutschen Oper, im Oktober 1997 im Rahmen der „Belcanto“-Tournee. Nicht länger mochte er sich nur auf seine Paniktruppe verlassen, ein richtiges Ensemble, das Filmorchester Babelsberg, musste es sein. Schon damals ein Programm der Lindenberg-Hits, gut gemischt mit Brecht, Tucholsky, Mackeben – Klassikrock vor ausverkauftem Haus. Ob er dabei noch einmal seiner „Elli Pyrelli“ gedachte? Wird wohl so gewesen sein, nein, so muss es gewesen sein. Einst besang er in ihr („Die Rock’n’Roll-Gespenster sind weg vom Fenster“) gewissermaßen das eigene berufliche Ende im Geist der Arie, nun war er selbst im Haus des „Schmettergesangs“ angekommen: „Ach, Wotan, weiche von mir, ach, Wotan, weiche von mir.“ Als dann zu „Andrea Doria“ die Bläser mit Matrosenmützen an die Rampe kamen, gab es kein Halten mehr.

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