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Berlin: Vollkommen aus dem Häuschen

Die Wohnungsbaugesellschaft Mitte will 15 000 Wohnungen verkaufen. Politiker fordern Aufklärung

Das Agieren der hoch verschuldeten landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) verärgert Politiker aller Parteien. Die Empörung führt zu ungeahnten Allianzen: So erwägt Klaus-Peter von Lüdeke von der FDP im Abgeordnetenhaus, wegen politischer und wirtschaftlicher Ungereimtheiten einen Untersuchungsausschuss zu beantragen – und bekommt Unterstützung vom linken „Donnerstagskreis“ der SPD, dessen Vertreter im Abgeordnetenhaus, Hans Georg Lorenz, von „korruptiven Vorgängen“ spricht, die es aufzuklären gelte.

Gestern wurde bekannt, dass die WBM eine Radikallösung erwägt, um die Insolvenz des finanziell angeschlagenen Unternehmens abzuwenden. 15 200 Wohnungen sollen verkauft werden, dazu 600 Gewerbeeinheiten. Außerdem hat der Betriebsrat bestätigt bekommen, dass von 721 WBM-Beschäftigten wahrscheinlich 260 die Kündigung erhalten.

Die Abgeordneten der rot-roten Koalition sind über den Umfang der geplanten Verkäufe überrascht, sagt Jutta Matuschek von der Linkspartei/PDS. „Bisher sprach der Finanzsenator von 10 000 Wohnungen, nun ist die Zahl plötzlich um 5000 gewachsen.“ Koalitionsvertreter und Opposition fordern eine schnelle Aufklärung sowie ein Sanierungskonzept vom Senat. Wie die WBM zu retten wäre, darüber gehen die Meinungen in der rot-roten Koalition aber auseinander. Die SPD schließt zur Abwendung der Insolvenz auch den vollständigen Verkauf der WBM nicht aus, sagt deren Stadtentwicklungspolitiker Jürgen Radebold. Ähnlich äußerte sich auch SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller. Die PDS hingegen beharrt darauf, dass die WBM im Landesbesitz bleiben soll.

Die Lage des Unternehmens ist desaströs. Die WBM drücken 1,2 Milliarden Euro Schulden, jedes Jahr sind 56 Millionen Euro für den Schuldendienst fällig. Am Freitag erklärte die Geschäftsführung dem Betriebsrat, dass es besser sei, jetzt zu verkaufen. Die Nachfrage großer Anlagegesellschaften und Finanzinvestoren ist groß, das garantiere gute Preise. Eine Sprecherin der WBM rät den Mietern, sich nicht beunruhigen zu lassen: „Wir werden in die Kaufverträge hineinschreiben, dass es nicht zu Eigenbedarfskündigungen oder Luxusmodernisierungen kommen wird.“ Für Hartmann Vetter vom Berliner Mieterverein klingt das wie Hohn: „Die Mieter tragen die Konsequenzen für die katastrophale Lage der WBM.“ Vetter fordert, dass den Käufern in die Verträge diktiert werden müsse, dass sie sich an den Mietspiegel halten und dass sie von den Mietern gemachte Einbauten in den Wohnungen dulden.

Wie ist die WBM in diese schwierige Lage gekommen? Vor zehn Jahren war sie eine der reichsten Wohnungsgesellschaften des Landes. Dann versuchte sie sich als Projektentwicklerin, häufig im Auftrag des Senats. Dabei verspekulierte sie sich. Die schwierig zu vermietenden Rathauspassagen und das aufwendig sanierte Haus des Lehrers kosteten ein Vermögen, In-sich-Geschäfte führten dazu, dass die WBM viel Geld verlor. Sie war selbst dann noch Projektentwickler, als damit in Berlin kaum noch etwas zu verdienen war, sagen Branchenkenner. „Die heute amtierenden Senatoren für Stadtentwicklung und Finanzen beurteilen das Geschäft anders“, sagt Manuela Damianakis.

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