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Berlin: Vom Broadway in die Hackeschen Höfe

Hollywood stand der Schauspielerin Yamil Borges offen. Doch sie entschied sich für Berlin

Nur einmal ist Yamil Borges nicht ihrem Bauchgefühl, sondern ihrem Verstand gefolgt. Sie zog nicht von ihrer Heimatstadt New York nach Kalifornien, sondern nach Europa. Dabei wäre sie in Los Angeles vielleicht eine dieser feurigen Latina-Stars geworden, die in teuren Hollywood-Produktionen Charaktere wie Frida Kahlo verkörpern und dafür weltweit berühmt und verehrt werden. Genügend Durchhaltevermögen und Willenskraft natürlich vorausgesetzt.

Doch der Verstand sagte ihr, dass sie für die Ellenbogen-Mentalität in der großen Filmmetropole nicht stark genug sei. Ob es ein Fehler gewesen war? Yamil Borges zuckt mit den Schultern, sie weiß es nicht, sagt sie scheinbar gleichgültig. Und während sie im Café des Oxymorons in den Hackeschen Höfen so stolz und anmutig im Sessel sitzt und ganz lebhaft begeistert von ihrer künstlerischen Vergangenheit in Amerika erzählt, weiß man nicht recht, ob diese temperamentvolle Frau, die beim Erzählen viel lacht und sich gelegentlich eine dunkle Locke aus dem Gesicht zupft, im tiefsten Inneren nicht doch heimlich mit ihrem Schicksal hadert. Die Zäsur, die Yamil Borges Anfang der 90er Jahre erlebte, als sie sich nach einer Musical-Tournee dazu entschied, in Deutschland zu bleiben, hätte nicht größer sein können.

Im Alter von neun Jahren begann die Tochter puertoricanischer Einwanderer mit dem Tanzen und absolvierte später eine Ausbildung zur Musicaldarstellerin an der renommierten „La Guardia Highschool of Performing Arts“. 1979 engagierte Leonard Bernstein sie für seine Neuinszenierung der „West Side Story“ am Broadway, kurze Zeit später spielte die aufstrebende Künstlerin an der Seite von Michael Douglas in Richard Attenboroughs Musical-Verfilmung „A Chorus Line“, es folgten weitere Rollen in Serien wie „Miami Vice“ oder der „Bill Cosby Show“. Der weitere, typisch amerikanische Werdegang schien geebnet zu sein, könnte man meinen.

Doch dann führte eine Musical-Produktion sie 1990 nach Europa, in Deutschland verliebte sich Yamil Borges und bekam eine Tochter. Als die Liebe zerbrach, ging sie nicht zurück in die Staaten, sondern ließ sich hier nieder. Die Neuorientierung fiel ihr schwer, beruflich wie privat. Der anderen Mentalität der Menschen wegen, der fremden Sprache wegen. Nach ersten Anlaufschwierigkeiten habe sie sich hier jedoch inzwischen gut eingelebt, erzählt Yamil Borges.

Beruflich läuft es für die zierliche Künstlerin inzwischen auch wieder sehr erfolgreich. So spielte sie unter anderem die Rolle der mordlustigen Velma Kelly im Musical „Chicago“ am Theater des Westens, sang für Peter Maffays „Tabaluga“ und stand in „Der Kuss der Spinnenfrau“ unter der Regie von Harold Prince auf der Bühne. Zwischenzeitlich machte sie sich einen Ruf als Jazz-Sängerin, nahm CDs auf und gab Konzerte. Zurzeit ist Yamil Borges fast täglich in der neuen Varieté-Show „Liaison der Sinne“ im Chamäleon zu sehen.

„Viele Menschen glauben, ich sei eine Diva, weil ich in meiner Karriere Momente voller Glanz und Glamour erlebt habe“, sagt die Wahlberlinerin aus Charlottenburg. Aber ebenso habe sie Momente voller Zweifel und Skepsis durchlitten. Diese Erfahrungen hätten ihr alle Illusion vom Leben in der Showbranche genommen, sagt sie ganz nüchtern und ohne Verklärung. „Wenn ich heute auf der Bühne stehe, geht es mir nicht mehr darum, die Zuschauer zu beeindrucken. Ich will sie mit meiner Kunst berühren.“ In „Liaison der Sinne“ gelingt ihr mit ihrer leidenschaftlichen Gesangsdarbietung mitunter beides. Vielleicht ist das für Yamil Borges eine Art Genugtuung.

„Liaison der Sinne“, Chamäleon in den Hackeschen Höfen, Rosenthaler Straße 40/41, Dienstag bis Sonntag, Kartentelefon: 4000590

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