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Berlin: Vom Luxus der Langsamkeit

Berliner Fahrrad-Taxis sind zum Erfolgsmodell geworden. Die beiden Konkurrenten starten in die Saison

„Zur Siegessäule laufen?“ Zwei Kieler Studenten schätzten die Entfernung, dann schien ihnen der Fußweg vom Brandenburger Tor doch zu lang. Sie entschieden sich für eine der Rikschas,die gestern vorm Brandenburger Tor standen. Noch am Vortag hätten die Studenten laufen oder ein normales Taxi nehmen müssen.

Eine Familie aus Brandenburg machte sich mit zwei Gefährten Richtung Checkpoint Charlie auf den Weg, wollte dabei den Verlauf der früheren Mauer erklärt bekommen. Für Marcel Knur und seine Geschäftspartner von „Rikscha-Tours“ schienen das Wetter und der Andrang auf dem Pariser Platz geradezu ideal, um mit zehn Taxi-Dreirädern mitsamt Fahrern in die Saison zu starten. Für das junge Unternehmen ist es erst die zweite.

Er startete einen Tag vor dem Konkurrenten und Berliner-Rikscha-Erfinder Ludger Matuszewski, der mit rund 80 „Velotaxis“ von heute an in seine bereits neunte Saison radelt. Sein Unternehmen hat das Gefährt inzwischen in über 20 europäischen Städten populär gemacht. Velotaxi ist auch „Botschafter der Fußball WM 2006 im eigenen Land“, hat ein Modell auf der Expo 2005 in Japan und expandiert (nach Tokio) nun auch nach Seoul in Korea. Von „Jobmaschine“ spricht schon die Berliner Wirtschaftsförderung, und zum Saisonstart werden heute unter anderem Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) und der Botschafter der Republik Korea lobende Worte finden. Deutsche, japanische und koreanische Schulkinder lassen sich als erste Velotaxi-Gäste der Saison durch Berlin rollen.

Die kleine Konkurrenz von „Rikscha-Tours“ hatte sich zu ihrem Start auch etwas Besonderes ausgedacht. Die Erlöse des ersten Tages kamen der Deutschen Krebshilfe zugute. Rund 40 000 Kunden habe sein Unternehmen im vergangenen Jahr durch die Stadt gefahren, sagt er. Beim größeren Velotaxi waren es fast zehnmal so viel. Anfangs belächelt, sind die Gefährte, von wem auch immer, längst als Taxi-Art akzeptiert, gehören zum Stadtbild. Mit der Rikscha, so der gelernte Historiker Knur, lasse sich der Luxus der Langsamkeit genießen, man könne sich alle Sehenswürdigkeiten in Ruhe und aus unmittelbarer Nähe ansehen. „Für uns sind Poller am Reichstag kein Problem“. Rund 30 Euro kostet die Stunde. Knur ist schon mal fünf Stunden hintereinander gefahren, und zu schwer ist ihm auf seiner „original-chinesischen Rikscha“ bisher noch niemand gewesen. Mehr als die Hälfte aller Fahrgäste sind Touristen. Aber auch die Berliner finden immer mehr Geschmack, sich mit dem Rad kutschieren zu lassen. Die Kieler Studenten waren übrigens zwei Stunden unterwegs, weil sie noch den Gendarmenmarkt sehen wollten.

Christian van Lessen

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