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Berlin: Von Bankern wachgeküsst

Einst war Liebenberg ein Parteischloss der SED – ein Kreditinstitut hat es vor dem Verfall gerettet

„Hilfe, wir werden nach Amerika verkauft!“ In Windeseile verbreitete sich die Nachricht Mitte der neunziger Jahre im Dorf Liebenberg, 60 Kilometer nördlich von Berlin. Von Ängsten um die Mietwohnung, den Arbeitsplatz und Kleingarten war die Rede. Ein Reiterhof bangte um die gepachteten Wiesen, Bauern machten sich Sorgen um ihre Äcker. Jeder im 350-Seelen-Ort legte sich seine eigene Schreckensgeschichte zurecht und nannte als Buhmann die Abkürzung „BvS“. Dahinter verbarg sich die „Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben“, einst Nachfolger der Treuhandanstalt. Noch viele Jahre lang musste sie sich mit den schwierigen Brocken aus der ostdeutschen Geschichte herumschlagen. Dazu gehörten auch das Schloss, Dorf und Gut Liebenberg.

Die „BvS“ wollte die Zuständigkeit für das gesamte Areal 1997 loswerden und wählten einen ungewöhnlichen Weg: Sie schalteten Anzeigen in der „Washington Post“, der „New York Times“ und anderen US-Zeitungen mit der Überschrift „Ein Dorf zu verkaufen“. Auch in Japan suchte man nach Interessenten.

Liebenberg gelangte deshalb auch in Deutschland in die Schlagzeilen. Zum Verkauf standen unterm Strich das Schloss, eine Kirche, eine große Villa am See, 47 Wohnhäuser, 1473 Hektar Land, Scheunen und Ställe, einige kleine Handwerksbetriebe und ein großer Park. Empörung löste die Tatsache aus, dass man die Einwohner von Liebenberg darüber nicht informiert hatte. Es folgte eine Zeit bangen Wartens bis zum guten Ende. Brandenburgs damaliger Ministerpräsident Manfred Stolpe schickte seine „Feuerwehr“, wie man die Landesentwicklungsgesellschaft nannte. Sie nahm Gut und Schloss vorerst in ihre Obhut. Und schließlich fand sich mit der Deutschen Kreditbank ein langfristiger Retter. Sie erwarb das Schloss und baute es bis 2004 zum Hotel aus. Liebenbergs Mietshäuser hatte zuvor eine Wohnungsgesellschaft übernommen.

Zugrunde lag den umstrittenen Verkaufsanzeigen eine ungewöhnliche Vorgeschichte: 1945 wurden auch in Liebenberg die Großgrundbesitzer enteignet. Hier traf es die seit dem 17. Jahrhundert ansässige Familie Eulenburg-Hertefeld. Doch ihre Ländereien und Gebäude gingen nicht wie sonst üblich an die Bauern oder die Gemeinde. In Liebenberg übergab die Sowjetische Militäradministration den gesamten Ort samt Schloss und Gut an die SED, die sich im April 1946 gründete. Die Partei wollte hier ein sozialistisches Mustergut aufbauen. Anfangs gab es tatsächlich einige Tests neuer Produktionsmethoden, aber letztendlich versorgte der Betrieb das von Stasi und Partei beanspruchte nahe „Seehaus“ und andere Ferienheime mit Lebensmitteln. Im Schloss selbst saß die Gutsverwaltung.

Als die Treuhand nach der Wende den Verkauf anstrebte, offenbarte sich ein Novum: Die SED, jene Partei, die den Atheismus predigte, besaß in Liebenberg auch eine Kirche. Diese war wie das ganze Guts- und Schlossgelände bis zur Wende unzugänglich. Und wie die Schlossanlage hatte auch der Feldsteinbau aus dem 13. Jahrhundert unter der Vernachlässigung gelitten.

Begonnen hatte der Niedergang des gesamten Areals schon in den Nachkriegstagen. Räume wurden geplündert, im Juli 1945 brannten der große Turm an der Einfahrt mit dem Familienarchiv, die Nordische Halle im Schlosshof und andere Gebäude ab. Augenzeugen vermuteten später, russische Soldaten hätten das Feuer gelegt. In den Trümmern fand man vier verkohlte Leichen der Familie des Oberinspektors des Gutes.

Inzwischen ist auch die Nordische Halle originalgetreu aufgebaut worden. „Heute stammen nur noch die äußeren Hüllen aus der alten Zeit“, sagt eine Angestellte an der Rezeption nicht ohne Stolz. „Im Innern bieten wir überall modernsten Komfort.“

Der schönste und historisch wertvollste Raum liegt im Erdgeschoss. Hohe Gewölbe und eine reich verzierte Holzdecke bilden den Rahmen für die einstige Kapelle, die heute den Namen Libertas trägt. Sie erinnert an die Enkelin des letzten Besitzers, Graf Philipp zu Eulenburg und Hertefeld. Libertas Victoria Haas-Heye heiratete 1936 in dieser Kapelle den damaligen Studenten Harro Schulze-Boysen. Danach überredete die junge Frau den späteren Reichsmarschall Herman Göring, ihren Mann beim Luftfahrtministerium anzustellen. Göring weilte in den dreißiger Jahren oft in Liebenberg zur Jagd. Seine eigene Residenz Karinhall in der Schorfheide war nur 60 Kilometer entfernt.

Harro Schulze-Boysen schloss sich später der antifaschistischen Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ an. Im Sommer 1942 wurde er zusammen mit seiner Frau von der SS verhaftet, beide starben in der Hinrichtungsstätte in Berlin-Plötzensee. Die Nazis verdächtigten auch den Sohn des Schlosseigentümers, Wend Graf zu Eulenburg-Hertefeld, der Mitwisserschaft und setzten seine Einberufung in ein „Himmelfahrtskommando“ an der Ostfront durch. Nur eine Intervention des Vaters beim Jagdfreund Göring bewahrte ihn vor dem Tod. Der junge Mann wurde ins Hinterland abkommandiert.

Wer heute durch den Schlosspark schlendert, auf der Terrasse einen Kaffee trinkt oder oder vom Steg in den Großen Lankensee springt, ahnt kaum noch etwas von der wundersamen Wiedererweckung – die mit Verkaufsanzeigen begann.

DAS DOMIZIL

Schmuckelemente und Umbauten verwandelten seit 1875 das einstige Gutshaus in ein herrschaftliches Schloss.

Wertvolle Glasmalereien und Schmuckdecken erstrahlen wieder im alten Glanz.

Eine Ausstellung erzählt das Leben der 1942 von den Nazis hingerichteten Libertas Schulze- Boysen . Gemeinsam mit ihrem Mann gehörte sie zur „Roten Kapelle“.

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