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Berlin: Von Bohlen zum Bariton

Das Schiller-Theater könnte zur Staatsoper werden – aber wie und zu welchem Preis?

Als eine Frau ihr neun Monate altes Baby auf der Bühne „Zirkuskunststücke“ zeigen ließ, flippte kürzlich Jury-Mitglied Dieter Bohlen vor Wut fast aus. Bissige Kommentare gab es auch, als Eltern ihre Kinder über Glasscherben laufen ließen, ein Sänger furzte. Bei der Fernsehaufzeichnung eines „ Supertalent“-Castings fragten sich viele Gäste im Saal, was aus dem ehrwürdigen Schiller-Theater an der Bismarckstraße geworden ist.

Andererseits: Gerade erst gastierten hier Ina Müller & Band, am Sonnabend geht die große Rechtsirrtümer-Show mit Ralf Höcker über die Bühne, der Kabarettist Volker Pispers, die Zauberflöte, Chris Norman und das große Musical Robin Hood sind angekündigt. Max Raabe feierte hier Triumphe, ebenso das Musical „Hair“. Das Theater ist weithin ausgebucht, schreibt schwarze Zahlen, wie Torsten Wöhlert aus der Kulturverwaltung versichert. Da macht es nichts, dass sich die Gäste über den Fünfziger- Jahre-Charme wundern. Das Interieur ist in die Jahre gekommen, der Bühnenraum wirkt düster. Aber das 1993 vom Senat eingesparte Theater übt noch immer eine starke Anziehungskraft aus, hat viele Freunde in der Stadt, die sich wehmütig an die alten Glanzzeiten erinnern, und allein deshalb gern zu heutigen Veranstaltungen ins Schiller-Theater kommen. Sie verbinden das berühmte Haus noch immer mit Schauspielernamen wie Carl Raddatz, Horst Bollmann, Will Quadflieg, Peter Ustinov, Bernhard Minetti. Mit Intendanten wie Boleslaw Barlog, Hans Lietzau und Boy Gobert.

So kam die Nachricht, dass hier vielleicht in drei Jahren die Staatsoper während der Sanierung ihres Hauses Unter den Linden spielen könnte, am Mittwoch bei vielen Freunden des Schiller-Theaters gut an, weil sie damit das Haus kulturell anspruchsvoll gesichert sehen. Es gibt zwar Hinweise, der Orchesterrgraben könnte zu schmal, das Haus zu klein sein. Es hat mit knapp über 1000 Plätzen rund 300 Sitze weniger als die Staatsoper, was vermutlich auch höhere staatliche Zuschüsse zur Folge hätte.

Von rund 20 Millionen Euro für die „bauliche Anpassung“ des Schiller-Theaters war schon die Rede, die Kulturverwaltung wollte dies gestern allerdings nicht bestätigen. Torsten Wöhlert sagt, man arbeite an einer Raum- und Bedarfsplanung, wolle klären, was saniert werden müsse, was für den Opernbetrieb bleiben könne. Erst in einigen Wochen oder gar Monaten seien genaue Angaben über Umbauten und Kosten möglich.

Das einst stolze Bühnenhaus ist nur noch ein Drei-Mann-Betrieb, der über die Technik und die Sicherheitsvorkehrungen wacht – und dafür sorgt, dass hinter der Bühne alles klappt. Dass, wie am Mittwoch, ein großer Laster mit der Aufschrift „Rock’n Roll Trucking“ die Instrumente einer Band entladen kann.

Bald könnte der Staatsoper-Fundus anrollen, vorm Hintereingang an der Schillerstraße. In den dreißiger Jahren war das 1907 eröffnete Theater nach Plänen von Paul Baumgarten umgebaut worden, mit vereinfachter Fassade. Bomben zerstörten 1943 das Haus. Anfang der fünfziger Jahre wurde es nach Entwürfen von Hans Völker und Rudolf Grosse neu errichtet, wobei Teile der Ruine wiederverwendet wurden – wie auch beim modernen Wiederaufbau der Deutschen Oper, die sich nun auf die Nachbarschaft der Staatsoper einzustellen hat. Aber bis dahin dürfte das Schiller-Theater noch so manche Überraschung à la „Supertalent“ bieten. Christian van Lessen

Christian van Lessen

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