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Berlin: Von Detektoren statt Direktoren

New York fährt eine harte Linie in den Schulen – ein Vorbild für Berlin ist das aber trotzdem nicht

Hat es New York besser gemacht? In Berlin kapitulieren Schulen vor der Gewalt und mancher – etwa CDU-Spitzenkandidat Friedbert Pflüger – meint, von New York lernen zu können, wie man mit null Toleranz Erfolg in der Erziehung hat. Der Tagesspiegel hat sich in New Yorker Problemschulen umgeschaut.

1992 fielen auf einem Schulhof in Brooklyn tödliche Schüsse. Zwei Schüler starben. Danach wurden in den öffentlichen Schulen Metalldetektoren eingeführt, um zu verhindern, dass Schüler Waffen in den Unterricht bringen.

Seit 1992 ist vieles anders geworden. Aber ein Loblied auf die Maßnahmen wollen die Lehrer nicht singen.

Beispiel Bronx: Die Uniform ähnelt der der Air Force. Marineblaue Hosen, himmelblaues Hemd, schwarze Ausgehschuhe und für die Jungs Krawatte – so müssen sich die Schüler von Carla Cherry, 34, täglich kleiden, wollen sie Zutritt zu ihrer High School erhalten. Carla Cherry unterrichtet in der neunten Jahrgangsstufe Englisch und Geschichte. Die Metalldetektoren am Eingang vermittelten ihr ein Gefühl der Sicherheit, sagt sie. Außerdem gibt es auf dem Schulgelände ein Dutzend – unbewaffnete – Sicherheitsleute, die sie jederzeit mit dem Telefon, das in jedem Klassenraum steht, rufen kann. Hartnäckige Störer werden abgeführt und müssen in einem eigens für sie eingerichteten Raum im Keller nachsitzen. Bei andauernden Störungen erfolgt ein Schulverweis. Die Schüler in ihren Uniformen lassen die Schule ordentlich aussehen. Doch der Schein trügt. Gewalt, Drohungen und Ausschreitungen sind an der Tagesordnung. Wie an den meisten öffentlichen Schulen in New York.

Die Lehranstalten der Stadt haben einen ausgesprochen schlechten Ruf. Es fehlt an engagierten Lehrern, an Geld für Unterrichtsmaterialien und die Schulgebäude sind in einem jämmerlichen Zustand. Wie jedes Jahr kämpft Bürgermeister Michael Bloomberg gerade mit der Landesregierung in Albany darum, den zu niedrigen Etat für die Schulen zu erhöhen. Kritiker befürchten einen neuen Anstieg der Kriminalitätsrate.

Beispiel Harlem: Matthew Henriksen, 28, wäre froh, wenn es in seiner Middle School (sechste bis achte Klasse) einen einzigen Metalldetektor gäbe. Doch dafür hat die Lehranstalt kein Geld. „Ich bin umgeben von einem kaputten System und ausgebrannten Kollegen“, sagt der Englischlehrer, „natürlich wissen alle, dass einige Schüler Messer mit in den Unterricht bringen. Aber das will niemand sehen.“ Das müsste sonst nämlich gemeldet werden – was die Statistik ruiniert und im nächsten Schuljahr Budgetkürzungen nach sich ziehen kann.

Henriksens Schüler sollten eigentlich 13 Jahre alt sein, doch einige sind so oft sitzen geblieben, dass sie schon 17 sind. Richtig lesen können sie trotzdem nicht. 80 Prozent sind Hispanics, der Rest Afro-Amerikaner. Von den 1000 Jugendlichen an seiner Schule sind zwei weiß. „Aber die erste Einwanderergeneration gibt sich wirklich Mühe, etwas zu lernen“, sagt Henriksen. Gewalt gebe es in seinem Klassenzimmer nicht, sagt er. „Die brauchen Disziplin und feste Regeln, weil sie das von Zuhause nicht mitbekommen. Dann geht es gut.“ Wie seine Kollegin Cherry findet er die Schuluniformen hilfreich: Die Jugendlichen seien stolz auf sie. Sie trage dazu bei, Disziplin und Ordnung zu erhalten, zumindest so lange, bis die Jugendlichen wieder auf der Straße rumhängen.

Dass die Gewalt an den New Yorker Schulen verglichen mit Anfang der 90er Jahre zurückging, ist für Henriksen kein Ergebnis der harten Linie, drastischen Strafandrohungen oder Metalldetektoren. Das liege am allgemeinen Rückgang der Kriminalität. Außerdem traut der Lehrer den Statistiken nicht. Denn Schulen, die zu viele Vorfälle melden, landen auf so genannten schwarzen Listen. Die werden geschlossen oder in kleinere Einheiten zerschlagen. Henriksen will spätestens nach drei Jahren wieder an einer Universität unterrichten. Laut der jüngsten Statistik haben nach vier Jahren 44 Prozent der 80 000 Lehrer an öffentlichen New Yorker Schulen gekündigt.

Aus New York berichtet Matthias B. Krause

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