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Berlin: Von drauß’ vom Lande komm ich her

„Berlin, Berlin“ hat am Freitag den Grimme-Preis gewonnen. Die TV-Serie handelt von Landeiern in der Großstadt. Wir haben drei Prominente gefragt, wie sie vom Dorf nach Berlin kamen

Jetzt bekommt man für Landflucht also schon eine Auszeichnung. Die ARD-Serie „Berlin, Berlin“, deren Heldin Lolle ihrem Liebsten hinterher reist und in einer Kreuzberger Wohngemeinschaft hängen bleibt, gewann am Freitag den Grimme-Preis. Der Tagesspiegel hat das zum Anlass genommen und drei prominente Wahl-Berliner nach der Geschichte ihres Umzugs vom Land in die Großstadt befragt.

Eine Plastiktüte mit Unterhosen und Socken. Mehr hatte Klaus Zapf nicht dabei. 1972 ist er nach Berlin getrampt. Wenn die Revolution losgeht, hatte er sich gedacht, dann dort. „Und ich wollte dabei sein.“ 19 Jahre war der Umzugsunternehmer damals. Ein alter VW hat ihn mitgenommen: Von Bad Rappenau in Baden, wo er herkam. Nach Berlin, wo er hinwollte.

600 Kilometer später war das Landei in der großen Stadt. Zapfs erste Eindruck: Er ist enttäuscht. „Der Ku’damm war zweimal so groß wie die Eppinger Landstraße“, erinnert er sich. Die Einkaufsmeile hatte er sich größer vorgestellt – zumindest deutlich breiter als die Straßen im badischen Kraichgau. Am meisten hat ihn verblüfft, dass er von seiner 2-Zimmer-WG in Wedding, die Zapf mit sieben Mitbewohnern teilte, in einer Stunde zum Ku’damm laufen konnte. Die Stadt war kleiner als gedacht.

Zapf hat Berlin zu Fuß erschlossen, bis heute hat er – „ich bitte Sie!“ – keinen Führerschein. Sich mehr und mehr auszukennen, faszinierte ihn. Mittlerweile fühlt er sich hier zu Hause. Ob er Berliner ist? „Jeder, der eine Berliner Tochter hat, ist ein Berliner“, sagt er. Lange hat Zapf Heimweh gehabt. „15 Jahre lang.“

Jetzt, wenn er zu Besuch im Badischen ist, will Zapf nach ein paar Tagen in die Großstadt zurück. Ein Stadtmensch, sagt er, ist er aber nicht. In Mahlsdorf hat er eine „Datsche“, und wenn er dort ist, schaut er aus dem Fenster auf „Bäume, Sträucher und Himmel“. In Charlottenburg hingegen, wo er seiner Frau zuliebe wohnt – damit sie den Ku’damm im Blickfeld hat – fehlt ihm „das Gestrüpp“. Wer bäuerlich aufgewachsen ist, legt das nie ab.

Seine Firma ist das Zuhause in der Fremde, das sich Zapf selbst geschaffen hat. Aber begraben lässt er sich hier nicht. „In Berlin sind die Gräber kälter als anderswo“, sagt er und fügt an: „Ich werde in badischem Staub verbuddelt.“ Mit einem Bestatter ist das schon ausgemacht.

Der SFB-Moderator Ulli Zelle kam mit 21 nach Berlin. An der Hochschule der Künste hat er Kommunikation studiert und lebt seitdem in der Stadt. Erst in Spandau in einer WG, dann in Kreuzberg, in der Muskauer Straße, in einer Einzimmerwohnung mit „Toilette auf der halben Treppe“.

Was in seinen VW Käfer passte, hat Zelle mit nach Berlin genommen: Platten-Sammlung und Bettwäsche. In Obernkirchen, Landkreis Schaumburg in Niedersachsen, ist er groß geworden. Richtig auf dem Land, einen Steinwurf vom Wald entfernt.

Aufregend, sagt Zelle, sei die Stadt in den Siebzigern gewesen. „Sie hatte nur eine Himmelsrichtung. Überall war Osten.“ Und Kreuzberg? Wie „maßgeschneidert für junge Leute“: die Kneipen, der Sperrmüll auf den Straßen. Nächtelang hat er im Trödel gestöbert und Schätze – Grammophone oder Schellackplatten – herausgefischt.

Nach über dreißig Jahren nennt Zelle Berlin seine Heimat. Auch wenn er gerne bei den Eltern an der Weser ist. Ob er sich vorstellen kann, wegzugehen? Nach New York, ja, das war ein Traum. Über die Jahre aber ist er zu dem Schluss gekommen: „Berlin ist die beste Stadt.“ Hier sind seine Freunde, hier kennt er sich aus, hier läuft er einmal im Jahr Marathon.

Eine „Kleinstadt mit 40 Bauern“ im Westfälischen hat Max Raabe , Sänger des Palast-Orchesters, in Richtung Berlin verlassen. 1985 war das. Da war er 21 und packte seine Koffer in Lünen, das liegt zwischen Münster und Dortmund. „Als große Stadt hatte Berlin einen besonderen Reiz und Mythos“, erinnert sich Raabe. Und es gab die HDK, dort wollte er hin.

Die Neuköllner Weisestraße war seine erste Station. Hundert Mark für ein Zimmer mit Ofenheizung und Innenklo. Anfangs ist er viel U-Bahn gefahren. Später war er mit dem Rad unterwegs und hat sich die U-Bahn-Stationen von oben angeguckt. Bevor er zum Vorsingen an die HDK ging, um die Ausbildung zum Opernsänger zu beginnen, nahm Raabe privaten Gesangsunterricht und jobte dafür. Auf eigenen Beinen zu stehen, auch finanziell – für den Sänger ist das Teil seiner Berlin-Erfahrung.

Heimweh hat er nie gehabt. Jung, eine eigene Wohnung und „die Eltern weit weg“: Raabe hat das als Freiheit begriffen. „Bis heute hat sich daran nichts geändert, nur dass ich nicht mehr 21 bin.“ In Neukölln lebt er längst nicht mehr. Seit vier Jahren wohnt er in Mitte. Ist Berlin Heimat? Er nimmt sich Zeit nachzudenken, sagt dann: „Ich kann mir momentan nicht vorstellen, woanders zu wohnen.“ Im Wesen aber sei er Westfale geblieben: mit einer „gewissen Sturheit und Wortkargheit, wenn es um Emotionen geht“.

Aber Max Raabe sagt auch: „Ich brauche die Großstadt.“ Und den Luxus, zu jeder Stunde ins Theater, in Clubs oder auch in Restaurants gehen zu können. Regelmäßig aber flüchtet der Sänger auch aufs Land. Berlin sei ideal, hinter der Stadtgrenze beginne die „schöne Natur“. So schnell, glaubt Raabe, wird Berlin ihn nicht los. Beruflich ist er oft unterwegs. Das bewahrt einen „frischen Blick“ auf die Stadt.

Melanie Ottenbreit

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