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Von Tag zu Tag: In der Sackgasse

Gerd Nowakowski will verstehen, warum in Kreuzberg die Mauer noch steht

Mit Randexistenzen kennt man sich in Kreuzberg aus. Da passte auch die Mauer dazu, die dem Bezirk der Alternativen und Hausbesetzer den Charme eine überschaubaren Nische verlieh. Immer an der Wand lang – das begrenzte die Welt gut genug, um sich daran festhalten zu können. Nur bösartige Menschen sprachen von einer Sackgasse, in der sich jene tummelten, die sich vor der entgrenzten Welt fürchteten; jene, die wie Herr Lehmann dann 1989 ziemlich indigniert feststellten, dass ihnen von den Ostlern der eigene Mikrokosmos unter den Füßen weggezogen wurde. Dabei verursacht Durchzug nur Ohrensausen und was sich lange bewährt hat, kann nicht falsch sein. Deswegen gibt es auch 20 Jahre nach dem Mauerfall in Kreuzberg immer noch Straßen, wo die Welt zwar nicht an der Mauer, aber am Kübel endet. Hatten wir uns die Einheit nicht anders vorgestellt? Es muss ja nicht unbedingt der Vollgas-Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“ sein, aber Straßen haben mit Hinwendung, mit Öffnung zu tun. Könnte es sein, dass selbst in Kreuzberger Amtsstuben noch einige ein wenig mit dem Rücken zur Mauer stehen – und nicht merken, dass die längst weg ist?

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