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Von der Brandmauer zur Kuhwiese. Das könnte unserem Autor auch gefallen.

© dpa

Von Tag zu Tag: Sammeln Sie Brandmauern!

Fordert Thomas Lackmann in seiner Kolumne. Gesucht sind Wände mit Lücken, die eigentlich verboten wären. Kleine Ausgucke aus den sonst eher öden Brandschutzwänden, die Sie in Berlin überall entdecken können.

Geht Ihnen auch die Unkerei auf den Nerv, Berlin verliere mit jedem Neubau seine Kicks und werde langweilig? Hier ein Mittel zur Gegendarstellung: Sammeln Sie Brandmauern. Noch gibt es freistehende in jedem Quartier. Eigentlich sind sie ja weniger fürs Publikum bestimmt. Brandmauern müssen mindestens 24 Zentimeter dick sein, dürfen nach 90 Minuten noch nicht entflammen, sollen Funkenflug zwischen den Immobilien stoppen und ansonsten ruhig hässlich sein.

Eine Brandwand, die mangels Nebenbau posiert, als sei sie ein Denkmal, wirkt peinlich, wie ein hinten aufgerissenes Kleid oder ein geplatzter Hosenboden. Erst wo man sich über Jahre an den Faux pas gewöhnt hat, sticht die Sehgewohnheit das Gestaltungsideal, im Sinne des Mottos „Mein Bruder schielt nicht, der muss so gucken“.

Die meisten Brandmauern bleiben trotzdem öde, erinnern aber jeden, den’s interessiert, daran, dass da mal was war: ein Krieg, ein Abriss, ein Plan. Manche werden aufgeschminkt, mit Graffiti oder monumentaler Pinselei. Meine Lieblingswand dieser Kategorie zeigt eine Giga-Vier, vom Dach bis zum Boden reichend: die Hausnummer. Da ich es hasse, wenn Hausnummern, die ich suche, nirgendwo zu finden sind, stelle ich mir vor, dass hier ein wütender Briefträger zum Äußersten geschritten ist.

Berlins bekannteste Brandwandhübschung an der Cuvrybrache hat sich dagegen vor kurzem in schwarze Langeweile verwandelt, weil der Künstler Investorenpläne vis-à-vis durch sein Werk nicht mehr aufwerten wollte.

Meine Lieblingskategorie ist die Brandmauer mit Lücken, was eigentlich verboten ist. Wo Öffnungen für eine Nutzung des Gebäudes unvermeidlich erscheinen, müssen Feuerschutzabschlüsse eingebaut werden. Wenn auf einer riesigen Brandmauer irgendwo ein winziges Fensterchen zu sehen ist, kann man grübeln, ob der Rest des Hauses hinter der Wand mangels Fenster nun ungenutzt bleibt oder ob diese singuläre Öffnung ohne amtlichen Dispens, vielleicht gar ohne Feuerschutzabschluss geschaffen wurde.

Das ist der baurechtliche Subtext. Noch schöner ist es, so eine Brandmauer mit Fensterchen, manchmal sind ein paar davon über die Fläche verstreut, als Durchbruch, Ausbruch, Lichtblick, subversives Kunstwerk zu genießen. Wenn es Nacht ist, leuchten solche Lücken in der Dunkelheit. Sammeln Sie Brandmauern.

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