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Berlin: Von Tag zu Tag: Weihnachtsflucht

Die Sache spitzt sich zu. Rette sich, wer kann vor Weihnachten!

Die Sache spitzt sich zu. Rette sich, wer kann vor Weihnachten! Wie anders ist die suggestive Frage an einsame, vor allem alte Menschen zu verstehen, wo sie denn Weihnachten zubrächten, wohin sie sich flüchteten wie in einen Luftschutzbunker. Als müsste jeder unbedingt am Heiligen Abend irgendwo Zuflucht suchen vor der tatsächlichen oder vielmehr nur eingeredeten Vereinsamung. Wer das ganze Jahr über von allen guten Geistern, die sogar in Familien vorkommen sollen, verlassen ist, sollte auf die weihnachtliche Zufluchtsfrage getrost was pfeifen, sich nicht bange machen lassen. Man kann nämlich lernen, mit sich allein zu sein ohne vereinsamen zu müssen.

Die Sache aber spitzt sich jedes Jahr aufs Neue gefährlich zu. Und dann lesen wir in den Zeitungen von Verzweiflungstaten am Heiligen Abend. Kein Christen-Fest wird so verhöhnt wie ausgerechnet Weihnachten: mit dem zwanghaften Versorgungsrausch bis zur letzten Ladenstunde, als gelte es, so viel wie möglich einzubunkern in Erwartung schlimmster Entbehrungen. Es ist die dreiste Umkehrung dieses Fest-Sinnes: "Christ, der Retter ist da?". Nee, aber RTL! Der Sender hat groß plakatiert: "Weihnachten ist gerettet!" Wodurch? Vor wem? Durch den amerikanischen Schmachtfetzen vom Untergang der Titanic. Vor wem aber gerettet? Vor der Unsäglichkeit freier Tage daheim. Unsäglich, weil man sich selbst und untereinander nichts mehr zu sagen hat, sich übersättigt am dritten freien Tag gefährlich auf die Nerven geht. Die Glotze als Retterin voreinander und von Weihnachten. Zu Silvester vertreiben wir dann die bösen Geister mit Explosionen und beginnen das neue Jahr mit dicken Köppen.

Ekkehard Schwerk

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