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Bisschen abseits auf einem Hof in der Neuköllner Elbestraße, dort aber sehr attraktiv in einer ehemaligen Destillerie untergebracht: das Eins44.

© Eins44 / promo

Von TISCH zu TISCH: Eins44

Mit einem neuen Küchenchef geht's bergab? Ganz im Gegenteil. Talent Tim Tanneberg legt in Neukölln spursicher los - handwerklich wie stilistisch

Typisches Schicksal in den Berliner Fressgewittern: Einer macht auf, hat Erfolg, wir Kritiker loben ihn – aber dann rast schon wieder der nächste Hype durchs Dorf. Und komischerweise ist es ja auch so, dass die Branche laut und glaubhaft über Nachwuchsmangel klagt, aber ständig junge Köche – jaja, kaum Frauen – auf den Arbeitsmarkt entlässt, die loslegen wie die Weltmeister. Ich habe jedenfalls in den vielen neuen Berliner Restaurants zuletzt kaum Enttäuschungen erlebt: Das Handwerk stimmt, die Kreativität auch, und so müssen wir Kritiker uns eher um stilistische als um qualitative Fragen kümmern. Das ist eine komfortable Situation, obwohl sich Verrisse bekanntlich leichter schreiben (und lesen).

Keine Deko-Exzesse

Also auch heute wieder keiner, tut mir leid. Im Gegenteil. Das „Eins 44“, auf zwei Stockwerken in einer ehemaligen Neuköllner Destillerie edel untergebracht, stand ganz am Anfang des aktuellen Neukölln-Booms. Ich mochte es, fand die Küche gut, ein Wohlfühlort ohne Frage, aber nicht unbedingt erste Wahl für neugierige Foodies. Nun ist ein neuer Küchenchef da, Tim Tanneberg heißt er, und, hoppla, was ist denn da los? Dass ein Nachrücker, den niemand auf dem Zettel hat, handwerklich und stilistisch derart spursicher loslegt, ist wirklich außergewöhnlich. Vor allem: Er tut das ohne Deko-Exzesse, regionale Beschränkungen und Umami-Extremismus. In den beiden Menüs kommen vegetarische Gänge vor, ohne, dass es überhaupt auffällt.

Köstliche Saucen

Sehr gut umgesetzt war beispielsweise die Idee, zwei Scheiben Kabeljau roh, nur ganz leicht überflämmt, auf einer kalten Lindenblütensoße zu servieren, dazu Trauben, ein paar Kräuter und rote Chili, deren Schärfe die leichte Grundsüße perfekt balancierte. Zu dünnen marinierten Kohlrabischeiben, floral auf dem Teller gewölbt, passte eine Creme von Zedernüssen nebst kalter Senf-Riesling-Soße wunderbar. Überhaupt, die Saucen: Zur Rolle vom rohen Wagyu, gefüllt mit cremigen Sprossensalat, gab es zwei, nämlich eine dunkle Fleischjus und eine grüne aus Schnittlauch, das war köstlich, zumal nichts davon die einzelnen Aromen übertönte und zum Beispiel die dünnen Champignonscheiben und Römersalatstücke obenauf gut zur Geltung kommen ließ. Zum Kopfsalat gab es knusprige Artischockenchips, Verbenen-Blättchen und Kapern, zum Lammrücken einen Hauch Salzzitrone, Karotten und weiße Bohnensoße, zum perfekt gegarten Bachsaiblingsfilet Rhabarber, grünen Spargel auf einem raffinierten Soßenspiegel mit schwarzem Knoblauch...

Testen ohne Risiko

Gehen Sie einfach selber hin und probieren, das ist kein Risiko, drei Gänge gibt es für 46 Euro, jeden weiteren für neun, und ich wüsste jetzt nicht so genau, was außer diesen Preisen die Küche Tannebergers vom Sterneniveau trennt. Ach, noch ein Dessert? Bier-Sorbet mit Zitrone, Sauerklee und Malzgebäck. Noch eins? Erdbeersorbet mit Buchweizen und Creme fraiche. In aller Stille ist auch die Weinkarte gewachsen, die nun alle vernünftigen Wünsche erfüllen kann; zudem wird eine gute Weinbegleitung für bescheidene sieben Euro pro Glas serviert. Der Service weiß Bescheid und trifft den Ton. Vor der Tür steht eine Terrasse, abends gibt es sogar Parkplätze auf dem zweiten oder dritten Hinterhof gleich vor dem Restaurant. Okay, okay, die Elbestraße ist jetzt nicht gerade der Nabel Neuköllns, aber das geht als Entschuldigung in diesem Fall nicht durch. Zu besichtigen ist ein Talent, mit dem niemand gerechnet hatte, und für das keine PR-Agentur getrommelt hat. Ach, und wenn mittags Zeit ist, gibt es sogar besonders günstigen Lunch. Ein guter Beweis dafür, dass ein neuer Küchenchef ganz sicher nicht den Abstieg bedeuten muss.

- Eins 44. Elbestraße 28/29, Neukölln, Tel. 62 98 12 12. Lunch Di-Fr 12.30- 14.30, abends Di-Sa 19-24 Uhr.

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