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Berlin: Von Tisch zu Tisch: Lenzig in Schöneberg

Zu Beginn des Jahres herrscht Flaute in vielen Restaurants. Schon oft waren wir in dieser Saison die einzigen im Saal, das ist nun mal nicht besonders schön.

Zu Beginn des Jahres herrscht Flaute in vielen Restaurants. Schon oft waren wir in dieser Saison die einzigen im Saal, das ist nun mal nicht besonders schön. Außerdem zerstört diese Situation das Blankenesische Weltbild vom notorisch aushäusigen Berliner. Im Lenzig kann man ziemlich sicher sein, dass reichlich Gesellschaft vorhanden ist. Eingerichtet mit Marmortischen in gehobenem, geschmackvollem Alt-Berliner Kneipenstil gibt es den perfekten Hintergrund, um Gäste von außerhalb auf garantiert untouristischem Schöneberger Terrain in den Stil der Stadt einzuführen. Wobei es hier gemütlicher zugeht, als in vielen bleichkalt gestylten Lokalen der neuen Mitte. Zwei Räume stehen zur Verfügung, der hintere mit weißen Tischdecken zur feierlichen Speiseabteilung erkoren, der vordere, ohne Tischdecken, auch zum informellen Snack einladend.

Der für uns ursprünglich reservierte Platz im hinteren Teil erschien uns allerdings viel zu gequetscht, einen etwas geräumigeren Tisch konnte uns der Wirt aber nicht geben, weil jeder, wirklich jeder Platz gebucht war. Also nahmen wir an einem Marmortisch im Vorderraum Platz, der schlicht mit Kerze und Papierservietten dekoriert war.

Sehr schön dick und warm und sogar genauso, wie man sie in Blankenese erwarten würde, war die badische Kartoffelsuppe mit Lachsstreifen, nach dem kühlen Prosecco ein angenehmer Einstieg in die Mahlzeit (8,50 DM). Gerühmt werden allseits die Salate des Hauses, wohl auch wegen ihres Umfangs; umso erfreulicher, dass man sie in einer Vorspeisengröße zum Vorspeisenpreis bestellen kann. Der Salat Lenzig besteht aus einem mit Kräutervinaigrette angerichteten mächtigen Blattgebirge, das etliche Shrimps beherbergte, kleine Stapel dünner Schinkenstreifen und ebensolche aus Käse, ein Klassiker der Studentenküche, den man auch in einer veredelten Variante mit Spinat und Forellenfilets haben kann (12,50 DM). Schönes Baguettebrot und eine ehrliche Weinkarte, die schlichte offene Schankweine von den gehobenen Qualitäten fein trennt. Leider war die Weißweinauswahl bei den gehobenen zu dürftig, jedenfalls für blankenesische Ansprüche, während bei den preiswerteren Schankweinen die Qualität unter dem (nicht nur) in jener Gegend der Welt gesetzten Standard blieb. Dafür war der Chianti aus der gehobenen Kategorie überaus mild und freundlich, ein angenehmer Begleiter zu einem Essen, dessen Herausforderungen wir uns gerade erst nähern (0,2 = 9,70 DM).

Zu den Spezialitäten des Hauses gehören neben dem "Schöneburger" Spareribs und Hühnerflügel Mahagoni. Letztere mariniert in Honig, Chili und Knoblauch, was ihnen eine besonders feste, krosse Kruste gibt. Dazu extrascharfe Chilisauce, Basmatireis und ein weiteres Salat-Gebirge (18,90 DM). Es wurde geradezu ein wenig eng auf dem Teller. Trotzdem kaute ich bald recht vergnügt und einigermaßen selbstvergessen an den Flügeln, bis ich spürte, dass irgendwetwas nicht in Ordnung war. Ich blickte auf und direkt in die schreckgeweiteten Augen meines Begleiters aus dem Fingerfood abstinenten Blankenese. Was ihn verstörte? Nach einigem Drumherumgerede kam heraus, dass ihm der Verzehr solcher Kost nicht recht elegant erschien. Das Gleiche dürfte auf aber auch auf Burger und Spareribs zutreffen.

Mit zarter Grazie wird man sich den Spezialitäten des Hauses kaum nähern können, weshalb es vielleicht ein guter Gedanke wäre, wenn man diese Sektion erweitern könnte um etwas typisch Berlinisches, das modernen Essgewohnheiten entsprechend veredelt wurde. Es gibt schon vereinzelte Versuche, diese Marktlücke auszufüllen, aber noch längst nicht genug. Fingerfood ist sowieso ein bisschen von gestern, aber noch nicht altmodisch genug, um schon wieder Retro-Trend-Reife zu erreichen.

Wer mit einem heißbegehrten Date oder gar einem wichtigen Geschäftspartner unterwegs ist, würde sich ohnehin an einfacher zu konsumierende Gerichte halten, zum Beispiel an die Fischvariationen. Die schmeckten auf eine anständige Art selbstgekocht, verrieten allenfalls am Rande einen etwas zu trockenen Humor; dazu gab es Basilikumbutter und guten Parmesanreis (23,90 DM). Absoluter Höhepunkt des Mahles war der Nachtisch: eine schöne, frisch gebackene Waffel mit Apfel-Zimteis (6,90 DM).

Inzwischen war es auf eine fast unelegante Art voll geworden, viele Singles, gute, fröhliche Stimmung, Ofenkartoffeln flogen an uns vorbei, sogar "Schöneburger" und Salate. Ein lustiges, nostalgisches Lokal ist dies, das seine Anziehungskraft gar nicht mal in erster Linie aus dem Essen zieht. Wozu der wirklich nette Service seinen Teil beiträgt.

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