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Das lila Logo weist den Weg: Restaurant Wilhelmine Speisesaal im Gründerinnenzentrum Weiberwirtschaft in der Anklamer Straße

© Doris Spiekermann-Klaas

Von TISCH zu TISCH: Wilhelmine Speisesaal

Flop in Mitte: Wenn ein Küchenchef mit sorgfältig angelesenen Aromenkombinationen arbeitet, aber sie handwerklich-technisch nicht beherrscht

Ja, schon gut, Berlin ist dieses Küchenlabor, in dem sie mehr Experimente machen als im Rest der Republik zusammengenommen. Praktisch alles scheint im Moment seine Anhänger zu finden, das ist auch in Ordnung so. Allerdings stellt diese Situation den Restaurantkritiker vor Probleme, weil er sich bisweilen in einem Paralleluniversum wähnt, in dem die Werkzeuge seiner Arbeit irgendwie zu klemmen scheinen. Versuchen wir es trotzdem. Der „Wilhelmine Speisesaal“ auf dem Hof des Gründerinnen-Zentrums in der Anklamer Straße hat mal, wenn ich mich recht erinnere, in den späten Neunzigern als „Blue gout“ angefangen und ist dann immer mal wieder ohne Ehrgeiz neu aufgestellt und neu möbliert worden. Die aktuelle Fassung besteht seit ein paar Monaten, und der Sound der Speisekarte hat mich veranlasst, die etwa 15 Jahre währende Besuchspause zu beenden.

Die Püree-Lawine

Drinnen: Gewusel. Zwei Frauen bauen gerade Geräte zur Musikbeschallung auf, die später ganz angenehm und dezent ausfällt – ein Plus für ernste Esser ist es nicht. Aber auch das Schummerlicht und die unterschiedlich professionellen Servicekräfte zielen eher auf ein Publikum, das man sich wohl wie einen Freundeskreis vorstellen muss, der auch was essen will. Dem setzt Küchenchef Hugo de Carvalho Exzentrisches vor: Foie-gras-Terrine mit Mokkabanane und Räucherforelle. Dies ist der aktuelle Stand der Aromenkombinatorik, aber die technische Umsetzung missrät komplett: Die Forelle ist okay, knusprige Kapern und ein süßes Gel spenden schulmäßig Kontraste, aber die Terrine, wohl eher pure Foie gras, ist bis auf ein Restgekröse zu Fett zerlaufen, die Banane liegt schlapp obendrüber. Die Zanderbäckchen, in Lardo eingeschlagen, kommen mit Portwein-Tapioka, das ist ganz stimmig und als Vorspeise durchaus überzeugend. Dann bricht eine Lawine verschiedener Pürees über uns herein. Zu „Hugo sein Pulpo“ (Originaltitel) schmeckt es als Senf-Kartoffel-Püree noch ganz angenehm. Die ambitionierte Begleitung durch einen Sirup von Estragon und grünem Pfeffer hält sich zurück – und die auf der Karte versprochene Zwiebelmettwurst bleibt unauffindbar. Auch die Nachfrage beim Kellner erzeugt nur ein heiteres „Ach was!“

Spachtelmasse und Trüffelhonig

Das zweite Püree, aus Maronen, passt geschmacklich gut zur rosigen, recht zarten Entenbrust mit sirupiger Kumquat-Sauce, aber es ist von enorm batziger Konsistenz und steht wie ein Gebirge auf dem Teller. Doch es kommt noch eine Steigerung: Das Aligot, ein zentralfranzösisches Kartoffel-Käse-Püree, bildet hier, unbegleitet, einen eigenen Gang. Die Wahrheit: Dieses Gericht finde ich schon beim dreibesternten Michel Bras eine ziemliche Zumutung. Hier bei „Wilhelmine“ ist es eine indiskutable Spachtelmasse, die sich, echt, in der Hand zu einer kompakten Kugel formen und gegebenenfalls in Richtung Küche werfen lässt. Ach ja: Zum Lachs mit Mais-DashiCreme und Vanille-Tapenade gibt es das Püree aus violetten Kartoffeln noch mal ohne Käse, was es geringfügig weniger zäh macht. Die Tarte Tatin, dekonstruiert auf einer püreefreien Bröselschicht, schmeckt dann ganz gut, allerdings schwer beinträchtigt durch so genannten „Trüffelhonig“, die klebrige Steigerungsform des Trüffelöls (vier Gänge: 44 Euro, gute, preisgünstige Weine).

Was ist da passiert? Mein Eindruck war, dass hier (vermutlich) ein Autodidakt mit vielen sorgfältig angelesenen Aromenkombinationen arbeitet, sie aber handwerklich-technisch nicht bewältigt. Er braucht unerfahrene Gäste, die das schiefe Ergebnis als modern und typisches Das-ist-heute-eben-so akzeptieren.

- Wilhelmine Speisesaal, Anklamer Str. 38/40, Mitte, Tel. 44 30 80 01, Mi-Sa ab 19 Uhr, Mo-Fr Lunch.

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