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Berlin: Von Trauer und Terror

Frau und Schwägerin starben an Krebs, danach legte Horst D. Bomben. Nun steht der 77-Jährige vor Gericht

Ein liebenswürdiger, alter Herr. Horst D. lächelt dankend, als ihm die Wachtmeisterin die Tür aufhält. Er wartet, bis ihn der Richter bittet Platz zu nehmen. Nein, er brauche keine Pause, sagt Horst D. im Moabiter Kriminalgericht, vielleicht nur ein wenig Geduld. „Mit 77 spricht man sonst nie vor so großer Kulisse“, sagt der Angeklagte und zupft sich seinen dunklen Anzug zurecht.

Horst D. kann einem Angst einjagen. Nicht, weil er irgendwie furchteinflößend aussieht, dieser herzkranke Mann mit weißem Haar und Brille. Sondern, weil er einem vor Augen führt, was das Schicksal mit den Menschen anrichten kann – wenn es ihnen nur übel genug mitspielt. 74 Jahre lang führt Horst D. ein unbescholtenes Leben, nach dem Krebstod seiner Frau und Schwägerin aber wird der pensionierte Maschinenführer zum Attentäter: Fünf selbst gebaute Bomben lässt Horst D. auf seinem über Monate währenden Rachefeldzug gegen die Mediziner hochgehen. Der Arzt seiner verstorbenen Frau verliert bei einem der Anschläge ein Auge. „Ich war wie ein Geisterfahrer auf der Autobahn, der, ohne es zu merken, immer in die falsche Richtung fuhr.“

Bis Horst D. fast selbst Opfer seiner Sprengsätze wird. Am 25.Oktober 2003 geht eine Bombe in seiner Wohnung in Hohenschönhausen hoch und verletzt ihn lebensgefährlich. Nach fünf Monaten Krankenhaus verlegen die Ärzte Horst D. in die Psychiatrie des Maßregelvollzugs. Jetzt sitzt der 77-Jährige vor der Richterbank und versucht, sich gegen die Vorwürfe des Staatsanwaltes zu wehren. Versuchter Mord? Horst D. schüttelt den Kopf. „Das sollte nur eine Warnung sein. Ich wollte niemand verletzen!“

Und dann beginnt Horst D., von seiner Frau Ingrid und seiner Schwägerin Waltraut zu erzählen: „40 Jahre lang waren wir wie Pech und Schwefel.“ Im Garten feierten sie gemeinsam ihre Partys, nach der Wende reisten sie zu dritt durch Europa. Als dann Ende der 90er Jahre beide Frauen an Krebs erkranken, fährt Horst D. erst täglich von Klinik zu Klinik. Weil er aber allgegenwärtigen Tod in der Onkologie nicht ertragen kann, pflegt er erst seine Schwägerin zu Hause bis zum Tod, dann seine Frau. Während Horst D. sich völlig verausgabt, hilflos die Frauen beim Sterben beobachtet, verzweifelt er nach eigenen Worten am „Desinteresse und der Herzlosigkeit der Ärzte“. Nach dem Tod seiner Frau sinnt Horst D. auf Rache, macht Unschuldige für seinen Schmerz verantwortlich: den Schmerztherapeuten Ruben H., seinen Kollegen Dr. K., eine Oberschwester… „Ich hatte das aber so geplant, dass niemand etwas passieren konnte“, versichert der Angeklagte.

Jetzt guckt nicht nur der Staatsanwalt skeptisch. Die Serie der Attentate beginnt am 6. Juli 2002: Vor dem Autohaus „Blickpunkt“ in Moabit, wo der Rentner einen Mercedes C 180 gekauft hat, geht die erste Bombe hoch. „Die haben mich gewollt um 5500 Mark betrogen“, sagt Horst D. Deshalb beschließt er, das Autohaus in den Ruin zu bomben. Als der erste Sprengsatz explodiert, fliegen die Splitter bis über die Straße. Seine Rohrbomben hat Horst D. mit Dachpappenägeln gefüllt, das Schwarzpulver aus Feuerwerkskörpern geklaubt.Weitere Anschläge folgen am 8. November 2002 und 21. Juli 2003. Es ist erneut eher dem Zufall zu verdanken, dass nur einige Autos und ein Zaun zu Schaden kommen.

Im April 2003 verübt Horst D. das erste Attentat auf den Krebsarzt: Als der Sprengsatz auf dem Autodach explodiert, kommt Ruben H. mit einem Schrecken davon. Im September bringt Horst D. vor der Haustür des Arztes per Fernbedienung eine weitere Bombe zur Explosion, verletzt den 43-jährigen Mediziner lebensgefährlich. Das rechte Auge des Schmerztherapeuten können die Ärzte nicht mehr retten.

Das Autohaus, der Krebsarzt, die Ermittler – sie alle können sich die Anschläge zunächst nicht erklären. Denn Horst D. hat den Medizinern nie Vorwürfe gemacht, sich nicht beklagt, auch den Verkäufern im Autohaus nie gedroht. „Wie hätte der Arzt aber die Botschaft verstehen sollen?“, fragt der Richter. Horst D. antwortet: „Irgendwann hätte ich einen Brief hinter die Scheibenwischer gesteckt.“

Dort, wo im Gerichtssaal sonst die Zeugen sitzen, hat Horst D. seine Ölbilder aufgestellt: Ein Segelschiff, das auf einen reißenden Wasserfall zutreibt „Das ist mein Absturz“, erklärt der Angeklagte, während er die kleine Galerie abschreitet. Ein einsamer Ritter, der mit einem feuerroten Drachen kämpft („Das sind die Mediziner.“) Als letztes Bild folgt ein Büßer, der die Hände vor den Augen zusammengeschlagen hat. Vier Kuppen fehlen an seinen Fingern. „Das bin ich selber und bereue.“ Die Bilder hat Horst D. in der Psychiatrie gemalt, jetzt sollen sie das Gericht von seiner Verzweiflung und Reue überzeugen. Der Vorsitzende Richter seufzt. Es wird nicht einfach sein, im Prozess gegen Horst D. zu einem gerechten Urteil zu kommen. Zum Abschluss seiner Rede klingt der Angeklagte pathetisch: „Ich will das Gericht bitten, mir die Hoffnung auf Gnade nicht ganz zu nehmen!“

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