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ARCHIV - Wahlplakate der Parteien AfD (o) und NPD hängen am 30.08.2016 in Berlin an einem Laternenpfahl. Am 18. September 2016 finden in Berlin die Wahlen zum Abgeordnetenhaus statt. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa (zu dpa "Das heikle Verhältnis von NPD und AfD: Umarmen oder ausgrenzen? " vom 30.08.2016) +++(c) dpa - Bildfunk+++

© dpa

Vor der Berlin-Wahl: Ein Koalitionsangebot an die AfD ist obszön

Dass der Berliner CDU-Politiker Peter Radunski zu einer Koalition mit der AfD rät, hat taktische Gründe. Trotzdem kann man in der gegenwärtigen Lage nicht gemeinsame Sache machen mit der Partei. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Lorenz Maroldt

Peter Radunski hat keine Funktion mehr in der CDU, aber eine Geschichte – als Berliner Kultursenator, vor allem aber als erfahrener, erfolgreicher, gewiefter, manche sagen auch: als genialer Wahlkampfmanager. Er weiß also nicht nur, worüber er spricht, sondern auch, wie es wirkt, wenn er mitten in den Wahlkampf von Mecklenburg-Vorpommern und Berlin hinein seiner Partei empfiehlt, der AfD Koalitionsverhandlungen anzubieten, und zwar „ernsthaft“. Frank Henkel, der jegliche Zusammenarbeit „kategorisch“ ausschließt, hat getobt, als er davon erfuhr. Das Thema wird der Spitzenkandidat der Berliner CDU jetzt nicht mehr los, so glaubhaft er seine eigene Haltung auch vertreten mag.

Doch die anderen Parteien, die angesichts der unverhofften, vermeintlichen Wahlkampfhilfe aus dem gegnerischen Lager schon frohlocken, haben die AfD ebenfalls am Hals. Denn insgeheim wissen sie alle, dass die Frage der Abgrenzung zur AfD nicht nur die CDU betrifft, deren politische Positionen denen der Storch-Partei ja tatsächlich am nächsten sind, sondern auch sie. In keiner Weise ist das konsensual organisierte Abgeordnetenhaus darauf vorbereitet, eine ganze Fraktion auszugrenzen. Der Ältestenrat entscheidet einvernehmlich, Ausschussvorsitze werden proportional bestimmt, auch einen Beisitzer im Präsidium könnte die AfD stellen, wenn sie ins Parlament einzieht. Dem können sich die anderen Parteien nur verweigern, indem sie das ganze Abgeordnetenhaus lahmlegen.

Ähnlich sieht es in den Bezirken aus. Die Stadtratsposten werden nicht politisch vergeben, sondern proportional zur Fraktionsstärke – die AfD könnte Teil von konsensual entscheidenden Bezirksämtern werden, ob das den Mehrheitsparteien passt oder nicht. Ausgrenzung kann hier zur Funktionsunfähigkeit führen, zumindest aber zu noch mehr Reibungsverlusten in der Verwaltung als ohnehin schon. Die Frage der Zusammenarbeit wird sich deshalb konkret ganz anders, ganz neu stellen, als sie es bisher auf rein theoretischer Basis tat. Selbst der „Konsens gegen Rechts“, den SPD, CDU, Grüne, Linke, FDP und Piraten unterzeichnet haben, hilft da nicht weiter. Aber was hilft dann?

Der Geist der Partei geht nicht weg

Radunskis Argumentation ist rein funktional und nicht einmal neu. Er beschäftigt sich mit einer Strategie zur Schwächung der AfD, um die Machtposition und Funktionsmöglichkeit der eigenen Partei zu stärken. Das ist als „Entzauberung“ bekannt. Ein Koalitionsangebot soll verhindern, dass die AfD ihre Außenseiterrolle stilisiert, und zwar bevor sie als regierungsfähig angesehen wird. Als Vorbild dient Radunski Hamburg, wo es SPD und CDU gelang, nacheinander die Statt- Partei und die Schill-Partei – beide aus dem selben Sumpf gestochen wie die AfD – auf der Regierungsbühne zu zerbröseln. Doch die AfD ist anders, sie ist besser organisiert, sie sitzt schon in etlichen Parlamenten, und auch die Zeiten sind andere. Einen derart offenen, manifesten, breiten und damit gefährlichen bürgerlichen Radikalismus wie heute gab es in der Bundesrepublik noch nie.

Die AfD geht nicht weg, indem man sie ignoriert. Aber ihr Geist wird auch bleiben, wenn man mit ihr koaliert. Ob nun die Partei als solche rassistisch ist, oder ob nur einzelne Mitglieder und Funktionäre menschenverachtende, antisemitische oder verfassungsfeindliche Positionen vertreten, ist für die Art des Umgangs mit ihr nicht entscheidend. Die AfD hat sich nicht überzeugend von solchen Positionen distanziert, sie kokettiert sogar damit. Und sie lässt sich, trotz gegenteiliger Beteuerungen, von offen demokratiefeindlichen Rechtsextremisten, gewaltbereiten Identitären und Verfassungsfeinden unterwandern. Ein Koalitionsangebot ist daher selbst dann, wenn es im Sinne Radunskis funktioniert, in der gegenwärtigen Lage obszön. Wer die offene demokratische Gesellschaft verteidigen will, muss sich mit der AfD auseinandersetzen – aber gemeinsame Sache machen mit ihr sollte er nicht.

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