zum Hauptinhalt

Platzverschönerung in Schöneberg: Vorrang den Fußgängern am Nollendorfplatz

Ein Seminar der Technischen Universität Berlin erarbeitet neue Pläne für den verkehrsumtosten Nollendorfplatz - passend zur neuen Aktion des Tagesspiegels.

Würden sich zwei Liebende – nennen wir sie Helmut und Loki – auf einer Parkbank am Nollendorfplatz heute noch die ewige Treue schwören? Eher nicht, und das liegt nicht nur daran, dass der Nollendorfplatz vom Verkehr umtost ist und zwischen Reifendienst, Bettenhaus und „Goya“ wenig Raum für Romantik lässt. Es liegt natürlich auch daran: Die Liebe leben wir dieser Tage gerne abschnittsweise. Und das gilt wohl auch für gleichgeschlechtliche Ehen, die mächtig im Kommen sind. Im Nollendorfkiez allemal, der zum alljährlichen lesbisch-schwulen Stadtfest kopfsteht. Auch am Nollendorfplatz, der aber sonst trist, verlassen und verbaut am Eingang dieses vitalen Kiezes liegt.

Dabei tobt das Leben gleich um die Ecke, in der Maaßenstraße. Der Inder, das Café mit dem erlesenen Kuchenbüfett, der Neulandfleischer, der Eisstand und die Modeboutiquen – hier kauft man ein, flaniert, genießt und verweilt auch gerne. Und wenn am Sonnabend am Ende der Straße die Händler ihre Stände auf dem Winterfeldplatz aufbauen und der größte Markt Berlins öffnet, dann kauft die halbe Stadt hier ein und prostet sich zu – das Prosecco-Glas in der Hand vor den Türen des Slumberland.

Quirliges Leben und urbane Ödnis liegen in Berlin oft nur wenige Meter voneinander entfernt. Wäre es nicht möglich dem Nollendorfplatz, dieser mit Parkplätzen übersäten Abwurfstelle für Betonblumenkübel, etwas vom Leben der Maaßenstraße einzuhauchen? Die Landschaftsarchitektin Astrid Zimmermann stellt die Neugestaltung des Nollendorfplatzes in den Mittelpunkt eines Seminars des Masterstudienganges der Technischen Universität, das bald beginnen wird. Warum ausgerechnet den? „Weil ein befreundeter Anwohner über die unhaltbaren Zustände dort klagte“, sagt sie. Und weil studentische Entwürfe oft genug vor Kraft strotzen, also gut geeignet sind, eine Debatte zu befeuern. Und eine solche Debatte über die Stadtplätze Berlins hat der Tagesspiegel ja gerade begonnen. Das passt.

Zerschnitten sei das Areal rund um die Bahntrasse zurzeit, als Platz gar nicht mehr wahrnehmbar, sagt Zimmermann über den Nollendorfplatz. Dabei zeigen Aufnahmen aus der vergangenen Jahrhundertwende, dass Altkanzler Helmut Schmidt und seine Verlobte Loki sicher nicht die Einzigen gewesen sein dürften, die sich hier die Treue schworen: Großzügige Rasenbeete gab es hier und Fußgängerwege, die das runde oder ellipsenförmige Grün umfassten. Die Bülowstraße gab es natürlich auch schon. Aber sie war schmaler und verlief am Rand der Häuserzeilen. Für Passanten gab es hier, wo im Jahr 1902 Berlins erste Hochbahnstrecke entstand, Platz genug zum Flanieren und Verweilen.

Heute zerschneiden die Verkehrsstraßen den Raum unter der Hochbahn und an den beiden auseinandergerissenen Teilen des Platzes nördlich und südlich davon. Autogerecht ist das – eine Scharte aus den 60er Jahren, die bis heute nicht ausgewetzt ist. Hier würde Landschaftsplanerin Zimmermann ansetzen. Weil mit geringen Mitteln viel erreicht werden kann, dort wo die Maaßenstraße auf den Nollendorfplatz trifft. Zunächst müssen die Parkplätze am Rande der Maaßenstraße weg. Wer mutig ist, schließt die Straße sogar für den Verkehr. Der Raumgewinn wäre gewaltig, weil die Maaßenstraße auf Höhe des Nollendorfplatzes auch noch einen Mittelstreifen hat. Es ist verlorener Raum, der hier hart umkämpft ist zwischen Fahrradfahrern und Flaneuren. Denn die Bürgersteige sind zu schmal für ein friedliches Miteinander, weil Cafés und Restaurants mit Tischen und Stühlen auch noch Platz brauchen.

Lesen Sie auf Seite 2 mehr über Verkehrsentschleunigung am Nollendorfplatz

Wer nicht ganz so mutig plant, lässt eine Spur offen und entschleunigt den Verkehr. Dabei wird die Straßenverbindung eigentlich gar nicht wirklich gebraucht: Die Maaßenstraße ist eine Stichstraße, sie mündet auf dem Winterfeldplatz und dient allenfalls der Umfahrung großer Achsen wie der Potsdamer Straße. Wer aber möchte schon die Autos in der Tiefe der Wohnquartiere haben? 

Warum also nicht mutig sein, wenn es zugleich ein Befreiungsschlag für den Nollendorfplatz wäre? Jedenfalls für den südlichen Teil, wo der Club Goya abends öffnet. Auch dort müssten einige Stellplätze geopfert werden. Parkplätze gibt es genug, weiter östlich, unter der Hochbahntrasse an der Bülowstraße zum Beispiel. Und am südlichen Teil des Nollendorfplatzes stören die Autos nur und blockieren die Umgestaltung.

Dass Bistros am Nollendorfplatz durchaus eine Chance hätten, zeigt der westliche Rand des zerrissenen Stadtraums. Aber die dort gelegene Kneipe liegt hinter „Containergrün“ verborgen, wie Zimmermann die mit Pflanzen besetzten Betonkästen nennt. Die grüne Mauer hat gute Gründe: Die Betreiber schaffen eine Oase und schotten sie ab gegen den unwirtlichen Ort voller Autos. Einwenden mag man, dass der Nollendorfplatz hier oft im Schatten liegt und kaum geeignet ist zur Einrichtung eines Cafés mit „Sonnendeck“. Aber warum nicht einen Platz für Nachtschwärmer schaffen? Einen würdigen Vorplatz für das Goya zum Beispiel. Und wenn die Autos ganz verschwänden, dann würde die benachbarte Spielhölle sicher bald auch ersetzt. Durch ein Restaurant vielleicht.

Deshalb würde Planerin Zimmermann auch am Nollendorfplatz Ecke Motzstraße den Verkehr entschleunigen. Noch ergießt sich die Motzstraße hier breit und schwungvoll in die Bülowstraße. Unnötig, wie Zimmermann findet, zumal Fahrer die Breite der Trasse als Abstellfläche für ihre Autos nutzen. Ein engerer Zuschnitt der Straße und eine Bodenwelle könnten Wunder wirken. Dann zumal, wenn die Bodenwelle an der Platzkante bis auf das Niveau des Bürgersteiges reicht. „Das würde die Hierarchie verändern“, sagt Zimmermann: Vorrang den Fußgängern!

Abgeschnürt vom Kiez ist auch das Herz des Platzes, der Bahnhof. Ein „qualitätsvolles Bauwerk“, findet Zimmermann, was nur leider nicht auffällt wegen der Poller, Blumenkübel, nicht zugänglicher Grünstreifen, einer massigen weißen Absperrung vor der Fahrbahn – „sehr fragmentarisch“ sagt Zimmermann. Auch hier müsse man eingreifen und die Mittelinsel mit den nördlichen und südlichen Teilen des Platzes verbinden.

Großes Potenzial hat für die Planerin auch der nördliche Rand des Nollendorfplatzes. Ausgerechnet dort, wo Reifen verkauft werden und ein Hochhausblock steht? Ja, weil hier die Sonnenseite des Nollendorfplatzes liegt. Und die Else-Lasker-Schüler-Straße, die hier beginnt, ist eine fast verkehrsfreie Sackgasse, die bis zur Apostelkirche führt und Raum und Ruhe bietet.

Auch am nördlichen Rand des Nollendorfplatzes erinnern die breiten Bürgersteige vor den Häuserzeilen an die großartige Vergangenheit des Nollendorfplatzes. Doch seit das Auto die Stadt erobert hat, ist auch dieses Stück Stadt versiegelt und vergessen. Es ist an der Zeit, findet Zimmermann, diesen Ort als Platz in Erinnerung zu rufen. Bei den Anwohnern würde das großen Anklang finden: An einigen Stellen haben sie schon Beete angelegt und pflegen sie – Eigeninitiative gibt es hier, eine Bürgerinitiative könnte bald folgen.

Liebe Leserinnen und Leser: Sind Ihnen auch Plätze in Ihrer Berliner Umgebung aufgefallen, die verschönert werden sollten Senden Sie uns Ihre Ideen und Fotos an leserbilder@tagesspiegel.de.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false