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Unterwegs zur Weltstadt. Berlin kann mehr, meint der Essayist Norbert Kostede. Er fordert die Berliner Politik auf, ihre „konzeptionelle Bescheidenheit“ abzulegen. Um im Wettstreit der Metropolen mithalten zu können, müsse die Stadt auch mehr wollen als bisher.

© Mike Wolff

Impulse für die Metropole: Vorwärts, Berlin!

Wiedervereinigung und Hauptstadtwerdung haben Berlin zu einer aufregenden Metropole mit internationaler Strahlkraft werden lassen. Diese Impulse gilt es als Zukunftspotenzial zu nutzen. Kultur und Kreative allein machen keine Global City.

In der letzten Sonntagsausgabe hat „Times“-Korrespondent und Tagesspiegel-Kolumnist Roger Boyes mit einem Essay Abschied von Berlin genommen. Unter der Überschrift „Wie Berlin uns alle betrügt“ kritisierte der britische Journalist und Buchautor Berlin als Stadt, die von der „Schlafkrankheit“ befallen sei und sich wieder stärker öffnen müsse. In der zurückliegenden Woche haben der Polen-Korrespondent Piotr Buras (Ausgabe 7. Juli) und der italienische Journalist Guido Ambrosino (5. Juli) zu Boyes’ Berlin-Thesen Stellung bezogen. In unserer Hauptstadt-Debatte schildert der Sozialwissenschaftler Norbert Kostede einige international anerkannte Konzepte und Entwicklungsstrategien. Wie kann sich Berlin im Wettstreit der großen Metropolen behaupten?

Farewell to Roger Boyes! Der langjährige Times-Korrespondent packt gerade seine Koffer, um die Stadt Richtung London zu verlassen – nicht ohne zum Abschied Berlin und seinem Führungspersonal Narkolepsie zu bescheinigen. Schlafkrankheit. Um uns wachzurütteln, beschwört er die Goldenen Zwanziger Jahre: Seht her, das waren noch Zeiten, als ein Franz Biberkopf durch das metropolitane Chaos von „Berlin Alexanderplatz“ hetzen durfte.

Nun, Roger Boyes’ Schnarchdiagnose mag für diesen oder jenen Regierenden Bürgermeister in den vergangenen Jahrzehnten durchaus zutreffen. Im Ganzen gesehen ist sie falsch. Antworten wir dem scheidenden Englishman ohne falsche Bescheidenheit: Nicht allein das klassische Berlin, auch das neue Berlin ist eine aufregende Weltstadt. Vor allem das Chaos der Wiedervereinigung und der sich anschließende Prozess der Hauptstadtverlagerung von Bonn nach Berlin haben diese Stadt in den vergangenen zwei Jahrzehnten intellektuell und medial, investiv und städtebaulich soweit vorangebracht und derart durcheinandergewirbelt, dass sie sich von niemandem Narkolepsie einreden lassen muss. Die Frage lautet allein: Da diese beiden Impulse mit den Jahren ihre Kraft immer deutlicher verlieren, wie kann sich Berlin auch zukünftig im Wettstreit der großen Metropolen behaupten?

„Kulturmetropole! Kreativwirtschaft!“ tönt es aus dem Roten Rathaus. Hatten sich die führenden Politiker dieser Stadt zunächst, im Blitzlichtgewitter des Mauerfalls, dem erhabenen Gefühl einer Global City hingegeben und auf die Profite einer Urban Geopolitics gehofft, so ist ihr strategischer Sprachschatz mittlerweile auf zwei Worte zusammengeschrumpft: „kreativ & kulturell“.

Das Konzept Global City verweist uns bekanntlich auf transnationale Finanzdienstleistungszentren wie New York, Tokio oder London. Danken wir Gott, dass diese Entwicklungsstrategie für Berlin völlig unrealistisch ist. Die Bankenkrise von 2008/2009 hat etwa für London offengelegt, welche Depression aus einer dominanten Wirtschaftsstruktur entspringen kann, die aus hochwertigen Finanzdienstleistungen einerseits und einfachen Handlangerdiensten andererseits (Reinigungskräfte, Kuriere, Sicherheitspersonal) besteht.

Auch aus dem Konzept der Urban Geopolitics ist nichts Rechtes geworden. Nach dem Fall der Mauer sahen sich Berliner Geschäftsleute und Lokalpolitiker in einer lukrativen „Mittlerfunktion“. Man begriff sich als „Drehscheibe zwischen Ost- und Westeuropa“. Keine Frage, Berlin kann von einem erstarkenden Mittel- und Osteuropa in den kommenden Jahrzehnten enorm profitieren, aber eben nicht als Mittler, sondern allein als konkurrenzfähiger Produzent von intelligenten Waren und Dienstleistungen – woran es allzu häufig hapert.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie sich die politische Führung an die Vision Creative City klammert.

Kostede hält den Vorwurf, Berlin sei verschlafen, für unbegründet.
Kostede hält den Vorwurf, Berlin sei verschlafen, für unbegründet.

© privat

Und so klammert sich die politische Führung mittlerweile an die Vision Creative City, ein Konzept, das von den Stadtentwicklungsplanern in aller Welt favorisiert wird. Es ruht auf zwei Säulen. Zum einen haben Wissensökonomie und digitale Revolution die Berufsstrukturen derart verändert und die Standortfrage dermaßen flexibilisiert, dass neue Karrieren und Firmengründungen auch abseits von reichen, etablierten Industrieregionen möglich sind – also auch in Arm-aber-sexy-Berlin.

Zum anderen erfordert diese Strategie eine kulturpolitische Overkill-Kapazität. Ob es um klassische Hochkultur oder populäre Eventkultur, um die Rekonstruktion historischer Gebäude oder um modernistisch-pompöse Bauvorhaben im großen Stil geht – alle großen und kleinen „Kulturmetropolen“ dieser Welt versuchen mit solchen Offerten, größtmögliche Teile der kreativen Klasse zu locken und an sich zu binden. Ein mobiler Menschenschlag, der zuweilen nur Zahnbürste und Laptop einpacken muss, um in eine andere Stadt zu ziehen.

Was Berlin angeht, wird man diesem Konzept Erfolge nicht absprechen können. Hunderte von Jungunternehmen brüten und brutzeln mittlerweile erfolgreich in Berliner Gewerbe- und Hinterhöfen für Auftraggeber rund um den Globus. Dass aber die Kreativwirtschaft zum tragenden Fundament der gesamten Stadtökonomie werden könnte, dass sie auch nur die „kulturmetropolitanen“ Gesamtausgaben wieder einspielen könnte – wäre nichts als eine pure Illusion.

Hoffen wir, dass nach der Wahl am 18. September – in welcher Farbkonstellation auch immer – sich auch im Roten Rathaus eine Hundertschaft kreativer Köpfe zusammenfinden und durchsetzen kann. Anders werden die narkoleptischen Anfälle, anders wird die konzeptionelle Bescheidenheit der Berliner Politik nicht zu überwinden sein.

Wer im Wettstreit der Metropolen bestehen will, braucht Grips und Geistesgegenwart: Denn in diesem Wettstreit hat man es mit einer Vielzahl von Strategien und Konzepten zu tun, die in einem höchst komplizierten Puzzle zusammengefügt werden müssen. Um nur zwei weitere zu erwähnen:

Sustainable City

Auf unserem von Umweltzerstörungen geplagten Stadtplaneten reicht es nicht aus, wenn nur kleine Studentenmetropolen oder reiche Rentnerkolonien ergrünen. Gefragt ist eine metropolitane Antwort auf die ökologische Krise, und auch Berlin darf sich nicht länger vor dieser Herausforderung drücken. Dass diese Antwort sich nicht auf die Ausweisung neuer Fahrradwege, sich nicht auf die üblichen Verdächtigen für mehr Nachhaltigkeit (Energie- und Abfallwirtschaft, Raumplanung usw.) beschränken darf, versteht sich hoffentlich von selbst. Für diese industriell geschwächte, in Sachen technologischer Forschung aber durchaus potente Stadt wäre es von besonderer Bedeutung, wenn sich Made in Berlin auf dem weltweit expandierenden „Green-Tech-Global-Market“ als führendes Markenzeichen durchsetzen könnte.

Electronic City

Längst krempelt die digitale Revolution das gesamte Stadtleben um: Lokale Unternehmen und Bürgerinitiativen, die via Internet für ihre Anliegen werben. Neue Kollaborations- und Steuerungstechnologien, die unsere Verkehrssysteme und Verwaltungsapparate durchdringen. Gerade eine Stadt wie Berlin muss jede digitale Rationalisierungschance nutzen, wenn sie ihre bürokratischen Aufblähungen in den Griff bekommen will. Wenn sie sich Ressourcen für Face-to-face-Services erhalten will, die das Etikett „bürgernah“ auch tatsächlich verdienen.

Aber! Aber! Allein die wirtschaftliche, technologische und ökologische Modernisierung Berlins sichert noch lange nicht den stolzen Titel einer „Weltstadt“.

Der Autor ist Publizist und Buchautor. Zuletzt erschien von ihm der Band „Berlin. Intellektuelles Profil einer Weltstadt – Essays und Skizzen“, Verlag Metropolitan Transfer, 120 S., 7 Euro.

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