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Vorwürfe der "Anti-Folter-Stelle": Berliner Gefängnisse teilweise menschenunwürdig

Das jährliche Gutachten der "Anti-Folter-Stelle" beklagt große Missstände in deutschen Gefängnissen. Auch in Berlin gebe es "Ekel erregende" Zustände. Insbesondere die Anstalten in Charlottenburg-Nord und Köpenick sind in der Kritik.

Dreckig, verwahrlost, ekelerregend – in der Jugendhaftanstalt in Plötzensee soll es massive Missstände gegeben haben. Dies geht aus einem Bericht der „Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter“ hervor, der Dienstag veröffentlicht wurde. Die Bundesstelle wurde auf Initiative der Vereinten Nationen eingerichtet, ihre Gutachten sollen Behörden zeigen, wo Verbesserungen nötig sind. Die Experten überprüften Einrichtungen bei Zoll, Polizei und Justiz in ganz Deutschland.

Das Gefängnis Plötzensee besuchten die Kontrolleure im April vergangenen Jahres. Zum Zeitpunkt der Überprüfung waren 450 der 547 Haftplätze in der Jugendstrafanstalt belegt. Vor allem ein besonders gesicherter Haftraum dort befand sich demnach in einem „unhygienischen, ekelerregendem Zustand“. Die Matratze sei voll „undefinierbarer Flecken“ gewesen, übersät mit Insekten und ohne Überzug. „Die Toilette sowie der Trinkwasserspender waren völlig verdreckt“, dazu komme eine „kärgliche Ausstattung“.

Insassen hätten berichtet, dass „Bedienstete bisweilen nicht genügend Vertraulichkeit“ im Umgang mit Hinweisen auf Misshandlung durch Mitgefangene aufbrächten. Außerdem seien Fenster durch Sichtblenden verdeckt, so dass nur wenig Tageslicht und Frischluft in das Gebäude kämen. Einen Tag später besuchten die Inspekteure die Abschiebehaftanstalt in Köpenick. Dort sei die psychologische Betreuung nicht ausreichend. Die Forderung der Kontrolleure nach Trennwänden in den Duschen wurde zurückgewiesen, in Schwimmbädern sei dies ebenfalls nicht überall üblich.

Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) sagte dem Tagesspiegel: „Sofort, nachdem der Justizverwaltung im Juni 2011 von den Zuständen berichtet wurde, sind die Missstände beseitigt worden.“ Zu dieser Zeit war die frühere Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) im Amt. Im Oktober habe man die Verbesserungen der Anti-Folter-Stelle amtlich dokumentiert mitgeteilt, sagte eine Justizsprecherin. Die monierten Sichtblenden vor den Fenstern seien angebracht worden, um zu verhindern, dass Häftlinge wie beobachtet Drogen durch die Fenster schmuggeln könnten. Die Sichtblenden verteidigte auch der Rechtsexperte der SPD, Sven Kohlmeier. Nachholbedarf sehe er eher bei der Ausbildung der Vollzugsbeamten, von denen es außerdem zu wenig gebe. Der Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses solle sich am besten vor Ort die Lage anschauen. Heilmann werde bald zu einer Begehung der Anstalt einladen, sagte seine Sprecherin.

Die Opposition fordert dennoch Konsequenzen. Der Jugendstrafvollzug habe einen besonderen Erziehungsauftrag, erklärte die Linke: „Ein Staat, der diesen ernst nimmt, steckt keine straffällig gewordenen Jugendlichen in verkommene Anstalten.“ Mit Blick auf den Abschiebegewahrsam forderte die Partei bessere medizinische Versorgung der Inhaftierten. In den Haushaltsberatungen sei ein derartiger Antrag der Linksfraktion kürzlich abgelehnt worden. „Wenn man nicht ständig die Haftanstalten besucht, herrschen dort schnell menschenunwürdige Zustände“, sagte Rechtsexperte Benedikt Lux (Grüne).

Justizmitarbeiter äußerten sich nicht zu den Vorwürfen, die Lage habe sich seitdem aber verbessert: „Schon kurz nach Amtseinführung hat Heilmann mit vielen Personalvertretern gesprochen“, sagte ein leitender Beamter.

Der Senator muss sich nicht nur mit dem Bericht der Anti-Folter-Stelle beschäftigen, sondern auch mit weiteren Folgen aus der Zeit seiner Amtsvorgänger. Wie berichtet, bereiten ehemalige und noch einsitzende Häftlinge der Justizvollzugsanstalt Tegel wegen der dortigen Haftbedingungen derzeit Anträge auf Entschädigung vor – teilweise mit Aussicht auf mehrere 10 000 Euro. Wie der Tagesspiegel aus Justizkreisen erfuhr, sind in den vergangenen Wochen mehreren Ex-Häftlingen bis zu 7000 Euro zugesprochen worden. Insgesamt haben nun knapp 50 Männer erstinstanzlich Entschädigungen erhalten. Das Land hat Rechtsmittel dagegen eingelegt. Eine Entscheidung der nächsten Instanz wird für August erwartet.

Die Zellen waren Gerichten zufolge mit 5,2-Quadratmetern in vielen Fällen zu klein. Der Justizverwaltung zufolge gebe es bislang keine Entschädigungsklagen von Insassen in Plötzensee.

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