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Die Spitzen der Berliner AfD: Georg Pazderski (Mitte) und Beatrix von Storch

© dpa/Klaus Dietmar Gabbert

Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus: Die AfD steht für den Rand der Stadt

Die AfD wird im September wohl ins Berliner Abgeordnetenhaus einziehen - dabei dachte man lange, Berlin sei eine linke Stadt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Fabian Leber

Lange Zeit sah es so aus, als könne die AfD fast überall in Deutschland Fuß fassen, nur in der Hauptstadt nicht. „Die AfD passt nicht zu Berlin“, hatte der wenig später gestürzte SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß noch im Februar verkündet. Und wohl gehofft, dass das Problem mit Sätzen wie diesem erledigt wäre. Tatsächlich wirkte es lange so, als würden zwei Dinge nicht zusammengehören: das sich gerne weltoffen gebende Berlin, das ein permanenter Karneval der Kulturen zu sein scheint, und eine deutschtümelnde Protestpartei, die mit Ab- und Ausgrenzung punkten will.

Aber offenbar ist auch Berlin nicht immun gegen Rechtspopulismus. Mit einem deutlich zweistelligen Ergebnis wird die AfD im September wohl ins Abgeordnetenhaus einziehen, darauf deuten im Moment alle Umfragen hin. Dabei war der Berliner Landesverband für die Bundespartei lange ein Problemkind, agierte unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Erst mit dem Auftritt der neuen Landesvorsitzenden Beatrix von Storch hat sich das geändert. Aufmerksamkeit ist der auf Krawall gebürsteten EU-Abgeordneten spätestens seit ihrer Schießbefehl-Äußerung gewiss. Mit Berlin-Kompetenz probiert sie es erst gar nicht.

Schon allein aus Gründen der Provokation wird die AfD versuchen, Wahlkampf in Kreuzberg oder Friedrichshain zu machen. Jede Störaktion gegen Mitglieder dort wird sie auszuschlachten wissen. Gerichtet aber sind solche Opfergeschichten an ein anderes Publikum, das weiter draußen wohnt. Schon bei früheren Wahlen waren Gegenden wie Marzahn, Lichtenberg und Köpenick AfD-Hochburgen.

Vor allem Männer mit mittlerem Schulabschluss wählen AfD

Zu kurz aber griffe es, das als eine neue Ost-West-Spaltung zu interpretieren. Die gibt es zwar immer noch, und sie wird auch dadurch nicht geringer, dass die AfD tief in einstige Linke-Stammwählerschichten eindringen kann. Zumindest Teile davon sind anfällig für islamfeindliches Getöse, für Antiamerikanismus und Sozialpopulismus – und bisher hat die Linkspartei kein Mittel dagegen gefunden. Aber viel mehr noch wäre ein potenzieller AfD-Erfolg Ausdruck einer zweiten Spaltung der Stadt: einer in Zentrum und Peripherie. Denn auch am westlichen Stadtrand, in Spandau oder Reinickendorf, ist der Zuspruch groß. Vor allem Männer mittleren Alters mit mittlerem Bildungsabschluss neigen in Berlin überdurchschnittlich oft zur AfD.

Wobei man wieder bei der so gerne verbreiteten Selbstwahrnehmung der Stadt als international, offen und trendy wäre. Offenbar fühlen sich nicht alle Berliner davon angesprochen. Und in der Tat hatte der Senat unter Michael Müller kein nachahmenswertes Beispiel in Sachen Willkommenskultur geliefert. Nicht erst die Zustände am Lageso zeigten, dass Ankommen und auch Integration in der sich multikulturell gebenden Stadt Berlin sogar schwerer sein können als anderswo.

Die AfD kann Rot-Rot-Grün erzwingen

Bei der Berliner AfD weiß man, dass die momentane Stärke in den Umfragen vor allem auf den Vertrauensverlust zurückgeht, den die regierenden Parteien in der Flüchtlingsfrage zu verzeichnen hatten. Ihren Wahlkampf richtet die Partei unter ihrem landespolitisch unerfahrenen Spitzenkandidaten Georg Pazderski nicht allein darauf aus. Sie will sich auch als Protestbewegung gegen eine als schlampig wahrgenommene Senatspolitik verkaufen – wohl wissend, dass offen fremdenfeindliche Töne in Berlin dann vielleicht doch nicht so ziehen.

So muss die AfD voraussichtlich gar nicht den großen Anti-Islam-Wahlkampf fahren, um hier Erfolg zu erzielen. Wähler, die ihre Ressentiments zum Ausdruck bringen wollen, glaubt sie ohnehin zu erreichen. Und gerade die von manchen als übermächtig empfundene strukturelle Linksdominanz in der Stadt nutzt ihr vermutlich sogar. Paradoxerweise könnte ein Einzug der AfD ins Parlament für eindeutige Verhältnisse sorgen: mit einer rot-rot-grünen Senatskoalition und einer Opposition aus CDU und AfD. Wobei das nicht nur für die Union keine Traumvorstellung ist.

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