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© Kitty Kleist-Heinrich

Wahlkampf in Berlin: Marzahn-Hellersdorf: Im Schatten der Platten

Marzahn-Hellersdorf ist überwiegend links – und Petra Pau weiß, wie die Herzen der Leute schlagen. SPD-Kandidat Kujath kennt den Bezirk, CDU-Bewerberin Grütters setzt auf bürgerliche Zugezogene.

Vorsichtig schaut der mittelalte Mann hinter der hohen Hecke hervor. Rudi Kujath, SPD-Direktkandidat in Marzahn- Hellersdorf, hält sein Faltblatt hoch, grüßt, und fragt, ob er die Wahlwerbung in den Briefkasten stecken dürfe. Der Mann im roten Polohemd, Eigentümer eines großen Grundstücks fast direkt an der östlichen Stadtgrenze, schüttelt den Kopf: Er wähle nicht! Und beginnt zu schimpfen, während er näher kommt. Er schimpft auf die Politik. Auf das Land. Auf die Behörden. Er steht am Tor und schimpft auf die Vietnamesen. Deren Konkurrenz im Blumenhandel – der Mann ist Florist – hat ihn, wie er sagt, dazu gebracht, seinen Laden „zuzumachen“. Am schlimmsten sei, dass ihm vom Finanz- bis zum Gewerbeamt ständig jemand hinterherspüre, den Vietnamesen aber nicht.

Kujath schweigt. Er weiß aus seiner Zeit als Geschäftsführer einer Wohnungsbaugesellschaft im Bezirk um die Problematik mit den Vietnamesen, bis hin zum Zigarettenhandel. Und er weiß, dass er dem Mann mit wohlfeilen Ratschlägen nicht kommen kann. Was hat die große, die Bundes-Politik bei solchen Problemen zu bieten? Nichts, außer dass Kujath zuhört. Am Ende nimmt der Mann das Faltblatt doch.

Etwas hat sich in diesem Wahlkampf verändert. Die Leute sind streitbereit, nicht mehr so freundlich-desinteressiert wie noch vor zwei Wochen. Dass da unten in Mahlsdorf einer am Gartenzaun steht, der Bundespolitik machen will, nehmen viele gern zur Kenntnis. Manche legen gleich los wie die Mutter von drei Kindern. Kujath bekommt eine kurze und sehr pointierte Kritik am Berliner Schulsystem zu hören – das jüngste Kind geht jetzt auf eine Privatschule –, dann einen freundlichen Blick ab und das Versprechen, sie werde ihn wählen.

Der Mann im leichten grauen Anzug hat eher geringe Chancen, den Wahlkreis zu holen. Mit Charme und Humor, der Gelassenheit seiner 67 Jahre und der Freude an der Politik, die er sich bewahrt, konkurriert er gegen Petra Pau. Die 46 Jahre alte Links-Politikerin hat den Wahlkreis schon zweimal direkt gewonnen. Sie ist ein Kind der DDR, sie ist den Weg von der Gründung der PDS bis zur Linkspartei mitgegangen, sie hat Bezirkspolitik gemacht und war Abgeordnete im Berliner Landesparlament. Sie redet dabei immer noch so, dass die Leute sie verstehen. Für den pensionierten Polizisten in Mahlsdorf ist sie „meine Petra“, für die 30 Rentner im Seniorenclub „Fortuna“ weiter nördlich in Hellersdorf ist sie „unsere Petra Pau“. Klar – da gibt es im Publikum auch den (mutmaßlichen) Parteigenossen, der sie, wie bestellt, fragt, wann „endlich“ diese neonazistischen Parteien verboten werden. Da gibt es aber auch die politikinteressierten Alten, die mit ihr darüber reden wollen, was „gerecht“ ist.

Weil sich Pau auskennt mit dem Leben in der DDR und dem Leben in „unser geliebten Platte“, wie sie leicht ironisch sagt, mögen die Leute sie. 42,6 Prozent der Erststimmen hat sie 2005 gewonnen. Das waren noch mal rund fünf Prozent mehr als bei der Bundestagswahl 2002.

Pau ist eine von den modernen Linken, die in einem nicht ganz unschwierigen Bezirk wie Hellersdorf-Marzahn vor allem sozialpolitisch punkten. Sie gibt sich als Anwältin der kleinen Leute. Sie polemisiert nicht wie Lafontaine oder Gysi, sie argumentiert: für eine Steuer auf Finanzmarktgeschäfte und eine „Millionärssteuer“, für die „Anerkennung der Lebensleistung“ ostdeutscher Rentner und für einen öffentlichen Beschäftigungssektor.

Mit 16 Prozent Arbeitslosigkeit liegt Marzahn-Hellersdorf leicht über dem Durchschnitt in Berlin und Brandenburg (15,2 Prozent im August). Die Anteile der älteren und der jungen Arbeitslosen sind ungefähr gleich groß – so wird die Arbeitslosigkeit zu einem Strukturproblem. Doch ist es nicht nur der nach DDR klingende „Öffentliche Beschäftigungssektor“, der Pau im Streitgespräch mit 250 Gymnasiasten der Leonard-Bernstein-Oberschule ihren Sympathie-Vorsprung halten lässt. „Reichtum für alle“ sei auf den Plakaten der Linken zu lesen, sagt ein Schüler und will wissen, wie das gehen soll. Da kann Petra Pau dann wieder mit der Millionärssteuer kommen und mit der Besteuerung von Finanzmarkt-Geschäften.

Die Programmatik der Linken hat, wenn sie gutmenschlich à la Petra Pau vorgetragen wird, so etwas wie einen moralischen Mehrheitsanspruch. Da kann Rudi Kujath bei der Debatte mit den Gymnasiasten tapfer die Hartz-Gesetze verteidigen, die Voraussetzung für die Wende am Arbeitsmarkt waren; da kann Monika Grütters vom Podium aus die Erfolge der Bundesregierung in der Vor-Finanzkrisen-Wirtschaftspolitik hervorheben – beide kommen nicht an Petra Paus Beifalls-Lautstärke heran.

Monika Grütters hat Marzahn-Hellersdorf zur ihrer Polit-Marathon-Strecke gemacht. Zum zweiten Mal kandidiert sie direkt in einem Wahlkreis, der für die CDU Entwicklungsgebiet ist. Kujath kann seine Hoffnungen auf das 2005er Zweitstimmen-Ergebnis der SPD bauen; die SPD lag mit 34,1 Prozenten knapp hinter den 34,4 Prozent der Linkspartei. Grütters’ CDU holte 14,1 Prozent. Die Kultur- und Bildungspolitikerin hofft auf ihre Absicherung über die Landesliste – und auf die zugezogenen jungen Familien in den Einfamilienhaus-Gebieten. Neben den Plattenbauvierteln nämlich siedeln Leute, denen es in der Berliner Innenstadt nicht gefällt. Bei ihnen kommt die CDU-Frau spontan gut an, wenn sie ihre Flyer am Gartentor überreicht. Diese Leute sind wohl so, wie Grütters sie sich wünscht: bürgerlich.

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