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Update

Wahlkampf: Stadtkewitzigkeit kennt keine Grenzen

Im RBB stellten sich die Spitzenkandidaten der kleinen Parteien vor. Die Freien Wähler waren nicht dabei. Dafür aber Udo Voigt und der Ticker, mit dem Nazometer im Anschlag - jetzt zum Nachlesen.

21:45 Uhr

Das war's. 90 Minuten Zwergelefantenstreichelzoo mit Rechtsextremen, die eigentlich gar keine sind, mit Freiheitsfanatikern, denen die Freiheit ein Graus ist. Und Martin Sonneborn, der mit als einziger die Fackel der politischen Wahrhaftigkeit in den Babelsberger Nachthimmel gehalten hat. Es waren entsetzlich zähe 90 Minuten, zähere eineinhalb Stunden gibt es hier sonst nur beim "Tatort". Und bevor jetzt noch Dominik Raacke versucht, das Rätsel der christdemokratischen Briefbombe zu lösen, geben wir ab an Ulli Zelle.

21:35 Uhr

Einer kommt noch, droht Hingst nun. Und tatsächlich: Einer kommt noch. Der Mann auf dem Motorrad, der im Wahlkampf, für Berlin, allen Ernstes „Gas geben“ will und sich dabei nicht mal nichts denkt, sondern gleich alles. Udo Voigt kommt noch, und dann ist er da. Steht einfach vor Hingst, versteckt sich hinter der Fassade des gemütlichen Schützenkönigs, der am Wochenende beim Hopfenfest kleine Teddybären an blonde Mädel verteilt. Doch man spürt: Der nette Onkel Voigt hört Marschmusik im Keller, der nette Onkel Voigt schaut zum Einschlafen Riefenstahlfilme. In seinem Blick liegt etwas berechnend Diabolisches. Und es ist Sascha Hingst deshalb hoch anzurechnen, dass er nicht zurückschreckt, sondern, so würde es Udo Voigt sagen, gleich mal in der ersten Frage, richtig Gas gibt: "Herr Voigt, wieso haben Sie eigentlich nicht den Mut zu sagen, dass Sie Adolf Hitler toll finden.“  Udo Voigt braucht keine Sekunde für seine Antwort: "Wir führen hier keinen Wahlkampf mit Adolf Hitler." Genau, und niemand hatte die Absicht, eine Mauer zu errichten. Deshalb an dieser Stelle noch ein Zitat Udo Voigts aus dem Jahr 2004: "Zweifellos handelt es sich bei Hitler um einen großen deutschen Staatsmann."

Nein, wir führen hier tatsächlich keinen Wahlkampf mit Adolf Hitler, dafür aber einen mit Udo Voigt und einer Partei, die Kreuzworträtsel herausgibt, deren Lösungswort "Adolf" ist, die sich mit den Insignien des Faschismus schmückt und Holocaust in An- und Abführungszeichen schreibt. Deshalb überspringt der Tagesspiegel-Ticker an dieser Stelle ganz einfach den Rest des Interviews mit Udo Voigt.

21:25 Uhr

BÜSO, das hört sich eigentlich ganz nett an. und auch der Kandidat macht einen ganz adretten Eindruck. Der Scheitel wie mit dem Edding gezogen. Typ BWLer mit eigenem Jagdschloss. Allerdings trägt er ein wallendes Rückwärtsgewand, das Programm eine Mischung aus Anachronismus und Nostalgie. Atommeiler bauen, die D-Mark wieder einführen. Darauf wäre jetzt nicht mal Martin Sonneborn gekommen.

21:20 Uhr

Bisher geht das hier alles zu schnell, da fließen die Kandidaten ineinander. Plötzlich steht Tine Wittler da, will eine zinslose Wirtschaft für Berlin, der Kandidat der BÜSO wirkt seinerseits wie eines der lampenfiebrig aufgeregten Dingsda-Kinder, vergisst mittendrin das eigene Partei-Programm, fängt zu schwitzen an, verliert dann völlig den Faden. Wäre Hingst jetzt Fritz Egner, er könnte wenigstens in die Werbung abgehen. Doch stattdessen nur: BÜSO.

Lesen Sie auf Seite 2, wen Martin Sonneborn verschleiern möchte - und wessen Anzug René Stadtkewitz trägt.

21:05 Uhr

Als Kontrastprogramm darf nun Martin Sonneborn von der PARTEI seine Redezeit verschwenden. Und beantwortet gleich mal eine Frage, die ihm gar nicht gestellt wurde. "Ich möchte Herrn Stadtkewitz verschleiern." Cathrin Boehme versucht noch, Sonneborn zu stoppen, aber er wischt sie einfach beiseite. "Was soll der Zirkus, das geht alles von meiner Redezeit ab!" Und Sonneborn macht, was er am besten kann: Martin Sonneborn sein. Er setzt seine Pointen gezielt, alles ist Teil des Gesamtkonzepts. Satire in Ernsthaftigkeit gehüllt. Oder andersherum. Das Problem dabei ist: Gerade im Vergleich zu seinen Vorrednern Stadtkewitz und Rouhs, verschwimmen durch Sonneborns Auftritt die Trennlinien. Weil man sich ja bei denen schon gefragt, ob die das ernst gemeint haben, oder ob sie nicht auch nur groteske Mimen sind, die dem klaren Drehbuch einer Kabarett-Inszenierung folgen. Sonneborn ist gerade, weil er keinen Anspruch auf Wahrhaftigkeit legt, viel wahrhaftiger, als diejenigen, die sich auf ihre politische Integrität berufen. Und besonders schön: es darf auch mal gelacht werden. Frage: "Sie wollen die Mauer wieder aufbauen, glauben Sie wirklich, dass die Leute im Ostteil der Stadt das witzig finden?" Antwort Sonneborn: "Nein, aber es reicht ja auch, wenn wir das witzig finden." Das ist fast schon befreiend ehrlich. Und noch etwas spricht für die PARTEI: Sie würde nicht mit der FDP koalieren, "weil wir nicht mit Spaßparteien zusammen gehen." Damit hat Sonneborn auch die bisher klarste Analyse des Abend geliefert. Dann verabschiedet er sich und macht wieder Platz für den eigentlichen Komödienstadl.

20:50 Uhr

Und weil es aber immer noch schlimmer geht, vor allem, wenn man denkt, schlimmer wird es jetzt nicht mehr, darf nach Stadtkewitz gleich Manfred Rouhs von ProDeutschland sprechen. Rouhs, das ist jener Kandidat, der sich partout dagegen verwehrt, als rechtsextrem bezeichnet zu werden, obwohl seine Partei ein ProKöln-Ableger ist und obwohl er einst Mitglied der NPD war. Rouhs dazu: "Damals war die NPD noch nicht das neonazistische Panoptikum, als das es heute durch die Lande tingelt und die Leute erschreckt." Nachdem er in den folgenden Minuten mehrere ineinander verwobene Schlangensätze voller Fremdwörter und Zahlenspiele konstruiert hat, die nur den Verdacht zulassen, dass er bei Stadtkewitz abgepaust hat, ist das auch der einzige Satz, der tatsächlich hängen bleibt.

20:50Uhr

Das RBB boxt sich weiter durch die Sendezeit. Nun mit einer doppelten Rechten. Erst darf René Stadtkewitz, die FREIHEIT, seines Zeichens erklärter Islamkritiker, 60 Sekunden lang zeigen, warum es ein Fehler der Berliner CDU war, ihn aus der Partei auszuschließen. Das gelingt ihm nicht. Vielmehr sieht Stadtkewitz so seltsam und urkomisch aus, so verloren in seinem Anzug, so schwitzend im Scheinwerferlicht, als hätte sich Ilja Richter einen Scherz erlaubt und den RBB als Karikatur eines Rechtspopulisten unterwandert. Stadtkewitz gelingt es aber immerhin, sich in wenigen Sekunden in diversen Widersprüchen und verschrobenen Doktrinen zu verstricken. "Wir kritisieren den Islam als System, nicht die Muslime an sich", sagt Stadtkewitz. Er sagt Freiheit, meint aber Beschneidung. Er sagt Islam, meint aber Burka. Dann bricht seine Rede einfach ab. Stadtkewitz lässt ratlose Gesichter zurück. Und bei uns die Frage, ob Männer wie Stadtkewitz sich nach öffentlichen Auftritten eigentlich noch einmal anhören, was sie da eigentlich gesagt haben. Eher nicht.

20:35 Uhr

Wolfgang Rogalski von der DDP , der sich mittlerweile Rocky nennt, hat sein eigenes Wahlplakat nach Babelsberg geschickt. Das kann aber, wider Erwarten sogar sprechen und sagt: "Das Bandbreitenmodell ist die Weiterentwicklung des bedingungslosen Grundeinkommens." Bleibt festzuhalten: Wenn Rocky tatsächlich so geboxt hätte, wie Rogalski spricht, hätte er selbst gegen die Schweinehälften im Kühlhaus verloren. 3. Runde, Technischer K.O. für Rogalski.

Lesen Sie auf Seite 3, wie ehrlich die Piratenpartei ist - und auf welche Frage Spitzenkandidat Andreas Baum einfach keine Antwort weiß.

20:30 Uhr

Es folgt der Kandidat der DKP. Rainer Perschewski. Einstiegsjingle: "Wir haben nichts mit der LINKEN zu tun." Das muss jetzt mal bitte erst mal genau so klar gestellt werden, findet Perschewski und offenbart, wie wenig subversiv der Versuch der Anarchie sein kann: "Wir brauchen eine breite Bewegung statt Parlamentarismus." Dann verabschiedet er sich mit einer breiten Bewegung. Immerhin: Der Manns steht zu seinem Wort.

20:25 Uhr

Der Nächste, bitte! Andreas Corinth, mit einem Haarschnitt so deutsch und konservativ wie seine deutsche konservative Partei und in einem wahrscheinlich noch eben backstage von Sonneborns Partei geliehenen 40-Mark-Anzug von C&A. Er spult sein auswendig gelerntes Berlin-Referat ab: Polizei, Integration, Sparzwang. und: "Wir wollen keine Laufzeit-Verlängerung für Klaus Wowereit." Danke, Andreas. Dafür bekommst Du eine Fleißbiene in dein Oktavheft. Alles wenig überraschend. Dann aber geht Corinth doch noch mit einem Tusch: "Wir sind nicht für die Todesstrafe." Aha. "Punktlandung", findet Boehme. Wie man's nimmt.

20:20 Uhr

Nächstes Stichwort. Gentrifizierung. Wäre das Publikum dort im Studio jetzt ein US-Sitcom-Publikum, irgendwer, wahrscheinlich Cathrin Boehme würde auf den Raunen-Knopf drücken. Hier raunt nichts. Und Hingst spricht "Gentrifizierung" aus, als wäre es eine Hommage an Hans-Dietrich Genscher. Baum, Pirat, ist aber weit entfernt von Genscher, schweigt, während er redet. Bekommt aber jetzt schon die erste Frage aus dem Publikum um die Ohren gehauen. "Ihnen wird vorgeworfen, dass Sie eine monothematische Partei sind. Wo bleibt die Wirtschaft?" Baums Antwort ist ein klares Eingeständnis: "Wir können uns noch nicht bei allem auskennen." Aha. Fazit nach Baums 60 Sekunden-Auftritt. Vertraue keinem Kandidaten! Informier Dich. Am besten bei Sascha Hingst.

20:15 Uhr

Von der Abendschau direkt ins das heutige RBB-Hauptquartier der politischen Debatte. Cathrin Böhme und Sascha Hingst stehen schon an ihrer Theke, wie sonst früher nur Peter Kloeppel und Ulrike von der Groeben, erklären noch schnell die Regeln und dann gibt es, noch schneller, die erste Frage an den ersten Kandidaten. Andreas Baum von den Piraten. Wie hoch ist Berlin eigentlich verschuldet? Krachereinstiegsfrage. Damit hat Baum nicht gerechnet. Schulterzucken. 1:0 für Sascha Hingst. Damit ist klar: ich wähle am 18. September RBB.

Lesen Sie auf Seite 4, was die Kleinparteien im Kreuzverhör mit Monty Python zu tun haben.

20:00 Uhr

Nach einem kurzen Blick auf die Liste der dreizehn Kandidaten der kleinen Parteien, die im RBB gleich für 90 Minuten so tun dürfen, als wären sie schon groß, stellt sich unmittelbar der erste Frustrationsschub ein. Weder die Freien Wähler noch die Freien Wähler Deutschland dürfen heute Abend am Streichelzoo der Baby-Elefanten teilnehmen. Das mag aus sendepolitischer Sicht Sinn ergeben. Für den Entertainment-Faktor aber dürfte das Gift sein. Immerhin garantieren diese beiden Parteien in ihrem scheinbar endlosen Namensrechtsstreit ein groteskes Geplänkel, das seine Entsprechung allenfalls noch in folgendem Dialog aus in Monty Pythons "Das Leben des Brain" findet.

"Ja, und diese beschissene Volksfront von Judäa." "Ja, Spalter. Äh... Wir sind die Volksfront von Judäa."

"Seid ihr von der Judäischen Volksfront?" "Verzieh dich!" "Was?" "Judäische Volksfront. Quatsch! Wir sind die Volksfront von Judäa! Judäische Volksfront..."

Ähnliches hatte sich tatsächlich vor ein paar Wochen an einem Samstag am Kottbusser Tor zugetragen.

Während der Spitzenkandidat der Freien Wähler (nicht: Freie Wähler Deutschland) Joachim Hennig versucht, Unterschriften für seine Partei zusammen zu klauben, nähert sich in kreisenden Bewegungen ein Mann auf einem Fahrrad, auf dem Gepäckträger ein Klemmbrett mit Unterschriftenzetteln, ähnlich dem, das Hennig neben sich auf einem Biertisch liegen hat. Der Fahrradfahrer blickt misstrauisch auf Hennigs Schild, weiße Blätter, die dieser auf einen Langnese-Aufsteller geklebt hat. Für niedrige Mieten und soziale Gerechtigkeit, überlegt kurz und fragt dann:

Unterschriftensammler auf dem Fahrrad: Freie Wähler Deutschland?

Hennig, den unmittelbaren Verlust der Contenance in der Stimme: Nein, ganz gewiss nicht!

Unterschriftensammler: Sondern?

Hennig: ...das würde ich aus Selbstschutzgründen auch ganz gewiss nicht am Kotti tun!

Unterschriftensammler: Ich sammle hier für die Freien Wähler Deutschland

Hennig: Die Leute wissen ganz genau, was der Unterschied ist. Und es wäre besser, Sie gehen jetzt. Es ist gesetzlich verboten, dass zwei Stände nebeneinander stehen. Ich habe eine Anmeldung, eine Genehmigung vom Bezirksamt. Die haben Sie, glaube ich, nicht.

Unterschriftensammler: Was soll das denn jetzt? (schüttelt den Kopf) Konkurrenz von Anfang an.

H.: (sachlich und im Sozialpädagogenton): Wir sind Mitbewerber. Wir streiten uns nicht, aber wir sind nicht einverstanden, wie bei Ihnen von rechtlicher Seite manipuliert wird.

U.: Von was vonner Seite? Das ist eine Frechheit.

H.: Das ist ein genehmigter Stand.

U.: Was soll das Theater? Sie haben nicht einmal Unterschriftenlisten.

H. (indigniert): Wer sagt denn sowas? Wir reden mit den Leuten, wir luchsen denen nicht nur die Unterschrift ab. Wir reden vorher mit den Leuten.

U.: Und was ist das für ein Verein? Auf Gottvertrauen?

H.: Wir sind eine zugelassene Partei.

U.: Mag ja sein, aber man kann nicht antreten, wenn man nicht Unterstützerunterschriften hat.

H.: Na, wir sammeln die doch gerade. Und Sie haben die Aufgabe, uns jetzt davon abzuhalten, oder wie verstehe ich das jetzt?

U.: Was ist das hier? Machen Sie ein Theaterprojekt?

H.: Es ist besser, wenn Sie jetzt gehen.

U.: Was wollen Sie machen, mir die Antifa auf den Hals hetzen?

H.: Gehen Sie einfach.

U.: Jaja, warten Sie kurz, ick hab jetzt hier noch mein Schäufelchen (Klemmbrett mit Unterschriftenblättern). Wollense mir noch kurz helfen, mein Schäufelchen wieder da hinzupacken (zeigt auf den Gepäckträger), damit wieder Frieden zwischen uns herrscht?

H.: Nein, ganz bestimmt nicht.

Auf Tiefschläge und niveauvolle Auseinandersetzungen dieser Art müssen die Fans des gepflegt selbstironisch angelegten politischen Kabaretts heute Abend dennoch nicht gänzlich verzichten. Immerhin hat sich Udo Voigt angekündigt. Und der ist, das haben die NPD-Wahlplakate bereits gezeigt, immer für einen Arschbomber in den Pool des schlechten Geschmacks zu haben. Gleich geht's los.

Am Dienstag hatten die fünf Spitzenkandidaten der im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien im RBB das Wort. 13 Vertreter weiterer Parteien werden Donnerstagabend ab 20.15 Uhr im RBB Rede und Antwort stehen. Der Sender hat die Parteien eingeladen, die in allen Bezirken zur Wahl stehen, bislang aber nicht im Abgeordnetenhaus vertreten waren. In der 90-minütigen Sendung werden Parteienvertreter jeweils rund vier Minuten auf Fragen der Moderatoren Cathrin Böhme und Sascha Hingst antworten.

Den Anfang der Gesprächsrunde wird der Spitzenkandidat der Piraten, Andreas Baum, machen. Es folgen die Vertreter folgender Parteien: Deutsche Konservative, DKP, ddp, Die Freiheit, pro Deutschland, BIG, „Die Partei“, PSG, ödp, BüSo, Tierschutzpartei und NPD. Wie schlagen sich die Politiker? Für welche Inhalte stehen sie - und wie lässt sich eigentlich eine Sendung machen, in der für dreizehn Vertreter völlig unterschiedlicher Parteien insgesamt nur 90 Minuten Zeit bleibt? Ab 20 Uhr tickert Lucas Vogelsang hier live.

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