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Marzahn-Hellersdorf ist einer von zwei außergewöhnlichen Wahlkreisen in der Hauptstadt.

© Paul Zinken/dpa

Wahlkreisserie vor der Bundestagswahl: Ungleiche Rivalinnen in Marzahn-Hellersdorf

Grütters gegen Pau: Das Duell zweier Spitzenkandidatinnen. Eine unbekannte Dritte will dazwischenfunken – die AfD fühlt sich hier besonders stark.

Der Kontrast zwischen den Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf sowie den kleineren Ortsteilen Biesdorf, Kaulsdorf und Mahlsdorf prägt auch die Bevölkerung im Bezirk. In den Wendejahren, als die Hochhäuser noch relativ neu waren, zählte er zu den jüngsten Berlins. Heute liegt das Durchschnittsalter mit 43,6 Jahren über dem Landesdurchschnitt von 42,7 Jahren. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Kinder zu.

Viele Familien, die sich die teuren Kieze im Zentrum nicht mehr leisten können, sind in den letzten Jahren – nach Zwischenstopp in Lichtenberg – zugezogen. In einigen Quartieren gibt es erhebliche soziale Probleme, verfestigte Armut schlägt sich auch in der Verwahrlosung von Kindern nieder.

Demgegenüber ist in den Einfamilienhausgebieten im Süden die Mittelschicht zu Hause. Grün ist es übrigens hier wie dort. 16 Prozent der 262 000 Einwohner haben einen Migrationshintergrund, geringer ist dieser Anteil nur noch in Treptow-Köpenick. Die Zahl der Ausländer hat sich seit 2010 jedoch mehr als verdoppelt.

Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf. Für die Gesamtdarstellung auf das rote Kreuz klicken.
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© Tsp

Was ist das spannendste Duell?

Marzahn-Hellersdorf ist einer von zwei außergewöhnlichen Wahlkreisen in der Hauptstadt. Nur hier und in Mitte treten zwei Spitzenkandidatinnen der Landeslisten direkt gegeneinander an. Während es im Zentrum Eva Högl von der SPD und Beatrix von Storch von der AfD sind, treffen im Osten die linke Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und die CDU-Landesvorsitzende Monika Grütters aufeinander. Nach einer Prognose von Tagesspiegel und mandatsrechner.de hat Pau das Direktmandat sicher. Es wäre das fünfte Mal in Folge, dass sie den Wahlkreis gewinnt. Für Grütters bliebe demnach – wie schon 2013 – nur der zweite Platz.

Der Unterschied zwischen den ungleichen Rivalinnen ließ sich kürzlich bei der Debatte der Berliner Spitzenkandidierenden im Tagesspiegel-Haus beobachten. Pau und Grütters standen Seite an Seite, bekundeten einander Respekt und Eintracht im Kampf für demokratische Werte. Doch hier stand die Wahlkreisabgeordnete und dort die Kulturstaatsministerin.

Die Linken-Politikerin, fest im Bezirk verwurzelt, sprach direkt ihre Klientel zu Hause an, warb für eine Mindestsicherung im Alter und eine Angleichung der Renten in Ost und West. Sie forderte die endgültige Schließung des Flughafens Tegel und nebenbei noch ein Freibad für „MaHe“ sowie die Öffnung des Wuhletals nach der IGA. Grütters hingegen musste immer auch an fein austarierte Interessen in ihrem Landesverband denken. Bei der Rente verwies sie auf die Kosten, bei TXL wich sie nach mehrfachen CDU-Loopings lieber aus.

Interessant wird deshalb sein, wie weit Pau (2013: 38,9 Prozent) Grütters (25,7 Prozent) diesmal auf Distanz halten kann. Die Christdemokratin kann sich nicht einmal ihres zweiten Platzes sicher sein. Denn als unkalkulierbarer Faktor kommt die AfD ins Spiel.

Es gibt in Marzahn-Hellersdorf ein solides Potenzial rechts der CDU. Die NPD und die damals noch junge AfD kamen schon vor vier Jahren zusammen auf zehn Prozent der Zweitstimmen. Bei der Abgeordnetenhauswahl im vergangenen September verbuchte die AfD mehr als 23 Prozent – was nicht nur an armen Plattenbaugebieten lag, sondern auch an überdurchschnittlichen Ergebnissen in den bürgerlichen Ortsteilen.

Damit rangierte sie auf Augenhöhe mit den Linken, die auf Bezirksebene durchaus als Teil des Establishments wahrgenommen werden. Für Pau gilt das im Bund nicht. Sie amtiert zwar seit elf Jahren als Parlamentsvize, ist aber immer unbequeme Oppositionspolitikerin geblieben.

Besonders spannend wird deshalb, ob die AfD-Bezirksvorsitzende Jeannette Auricht der Merkel-Vertrauten Grütters den Rang ablaufen kann. Die Mahlsdorferin gibt sich gemäßigt, verantwortet aber auch einen offenen Kurs gegenüber dem radikalen Flügel um Björn Höcke, der vor zwei Wochen ihr Gast im Wahlkampf war.

Auch gegenüber Rechtsextremen im Bezirk zeigt die AfD wenig Berührungsängste. In Sachen Engagement macht der Partei niemand etwas vor. Ein Beispiel: Im August bat der Deutsche Gewerkschaftsbund zum Wahlforum. Grütters war verhindert, Hauptstadt-Verpflichtungen eben. Auricht war nicht eingeladen, aber protestierte im Publikum dagegen. Ihre Mitstreiter drückten am Ausgang jedem, der wollte, Flyer in die Hand. An den Laternen hingen sechs ihrer Plakate, wo tags zuvor nur ein einsamer Christian Lindner zu sehen war.

Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf. Für die Gesamtdarstellung auf das rote Kreuz klicken.
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© Tsp

Hat man hier überhaupt eine Wahl?

Das Herz der Linkspartei schlägt im Osten. Doch Marzahn-Hellersdorf ist nicht immer schon und überall tiefrot. Gleich nach der Einheit wechselten die Mehrheiten in den Kiezen zwischen Linken, SPD und CDU. Bei den Wahlsiegen Gerhard Schröders 1998 und 2002 dominierten die Sozialdemokraten bei den Zweitstimmen, während Gregor Gysi und später Pau die Direktmandate errangen.

Erst seit der Wahl 2005, die das Ende der rot-grünen Koalition besiegelte, gewann die Linke beinahe durchweg die Oberhand. Vor vier Jahren allerdings triumphierten die Christdemokraten in den südlichen Ortsteilen. Auffällig ist auch: Direktkandidatin Pau lag immer deutlich vor dem Zweitstimmenergebnis ihrer Partei. Grütters profitierte 2013 vom bundesweiten Trend der CDU.

Was war skurril im Wahlkampf?

Der 28-jährige Dmitri Geidel ist der jüngste Kandidat der Berliner SPD. Er soll auch bei den tausenden russlanddeutschen Wählern Stimmen holen. Ein forscher Auftritt brachte ihn gleich in die Boulevardmedien: In der Tradition der Londoner „Speakers’ Corner“ stellte Geidel sich auf eine Holzkiste und forderte eine Umbenennung von Marzahn-Hellersdorf in Marzahn.

Der Doppelname sei ein „blutleeres Verwaltungskonstrukt“, seine Länge mache vielen zu schaffen. Parteifreund Sven Kohlmeier schlug daraufhin den Namen Kienberg vor, Ex-Senator Mario Czaja (CDU) plädierte für Wuhletal. Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle (Linke) verzichtete lieber auf einen Kommentar.

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