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Fragwürdiges Motiv. Die Karte zeigt den Angriff im Bahnhof Lichtenberg.

© promo

Wahlwerbung: CDU provoziert mit Postkarte von U-Bahn-Überfall

Angehörige von Überfallopfer Marcel R. empört sich über Postkarte der Berliner CDU-Fraktion.

So hat Frank Henkel das wohl nicht gemeint: Er wolle sich stärker für Opfer von Gewaltverbrechen und für deren Angehörige einsetzen, kündigte der Spitzenkandidat der CDU am Mittwoch an. Zugleich wird seine Partei für den Umgang mit einem Verbrechensopfer scharf kritisiert – von einer Angehörigen. Es geht um eine Postkarte der Fraktion im Abgeordnetenhaus, die den Überfall auf Marcel R. zeigt. Der 30-Jährige war Mitte Februar von vier Jugendlichen auf dem Bahnhof Lichtenberg fast totgeprügelt worden. Die CDU druckte das Bild einer Überwachungskamera auf Infokarten, auf deren Rückseite die vom rot-roten Senat „sträflich vernachlässigte“ Sicherheit bei der BVG beklagt wird.

Katja G., die Schwester des schwerstverletzten Opfers, ist hell empört: Dass das Trauma ihres Bruders durch die CDU wieder an die Öffentlichkeit gezerrt werde, sei mehr als ärgerlich und „gefährdet Marcels Genesung“. Es wäre ein Schock für ihn, das Bild zu sehen. Die Ärzte hatten damals diagnostiziert, dass gerade seine Erinnerungslücke bezüglich des Überfalls hilfreich für die psychische Aufarbeitung sei. Am liebsten würde sie juristisch gegen die CDU vorgehen, sagte Katja G. dem Tagesspiegel.

Die Christdemokraten sind sich keiner Schuld bewusst: Während auf den Internetseiten mehrerer Zeitungen weiter das gesamte Video des Mordversuchs zu sehen sei, habe die CDU nur dieses Motiv von der Nachrichtenagentur dpa gekauft, auf dem das Opfer kaum zu sehen sei, sagt Fraktionsgeschäftsführer Uwe Goetze. Die Karte sei nicht an Haushalte verschickt, sondern von Abgeordneten auf Veranstaltungen verteilt worden. Im Übrigen sei die Karte nicht neu, sondern in einer einzigen Auflage von 2500 Stück bereits im März gedruckt und bis in den April hinein verteilt worden. Eine Neuauflage sei nicht geplant und der Fall insofern erledigt.

Tatsächlich jedoch lag die Karte am Mittwoch noch dutzendfach zum Mitnehmen im Foyer des Abgeordnetenhauses aus. Und der Ursprung im März bedeutet, dass beim Druck der Karte noch ungewiss war, ob und mit welchen Langzeitfolgen Marcel R. überleben würde.

Als der Maler nach der Reha im Mai nach Hause kam, machte er einen starken Eindruck. Ein ganzes Team von Ärzten hatte sich um ihn gekümmert, er hatte gelernt zu sitzen, aufzustehen, langsam zu gehen, zu sprechen, seine Finger zu bewegen. Oft war ihm schwindlig, die starken Schmerzmittel und Spritzen ließen sein Haar ausfallen, aber wenn alle weg waren, übte er, im Krankenzimmer ohne Rollator zu laufen. Damals sagte Marcel: „Ich habe keine Angst, die Täter zu treffen. Aber ich bin so wütend, und wenn ich sie sehen würde, würde ich noch wütender werden. Das will ich nicht.“

Heute weiß die Schwester: „Sein selbstbewusster Eindruck von damals täuschte wohl.“ Erst jetzt fange Marcel wirklich an, sich mit dem Geschehen zu beschäftigen. „Er musste seine Reha-Maßnahme abbrechen, weil es teilweise Gruppentherapien mit 30 Leuten gab“, sagt Katja G. Das habe Marcel nicht ausgehalten.

Vor ein paar Wochen schrieb die Familie einen Brief an alle Berliner Parteien und bat um Hilfe für Marcel. „Die einzige Partei, die nicht auf den Brief geantwortet hat, war die CDU“, sagt Marcels Schwester. Der Christdemokrat Goetze versichert: „Bei uns in der Fraktion ist das definitiv nicht angekommen.“

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