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Alles unter Kontrolle: Innensenator Frank Henkel bei seiner Tour durch Berlin - hier im Mauerpark mit Klaus Kesse, Direktionsleiter beim Polizeipräsidenten in Berlin.

© dpa

Walpurgisnacht-Rückschau: Frankie goes to Wedding

Betont entspannt trat Innensenator Frank Henkel (CDU) zur Walpurgisnacht auf. Aber was hielten die Punks von ihm? Ein Bericht von der Walpurgisnacht aus Wedding.

Von Frank Jansen

In dieser Stadt gibt es Leute, die haben keinen Respekt vor dem Innensenator. Als Frank Henkel am frühen Nachmittag im Wedding auftaucht, hinter der Bühne des Open-Air-Konzerts zur „Antikapitalischen Walpurgisnacht“, wird er mit einem geradezu schamlosen Spruch begrüßt. „Frankie, du geile Schlange, keiner kann so gut und so lange“, ruft ein Agitator ins Mikrofon. Die Punks vor dem zur Bühne umfunktionierten Lkw johlen, der Senator lächelt. Henkel wirkt entspannt, er tritt im schwarzen Shirt von Ralph Lauren betont „smart casual“ auf, als ginge es zu einer Grillparty. Dazu verteilt er Händedrücke, die fühlen lassen, dass der wuchtige Christdemokrat mal geboxt hat, wohl nicht im Fliegengewicht.

Die Walpurgisnacht 2012 in Bildern

Mit dem coolen Auftritt im Wedding verkörpert der Senator seine Prognose, die er am Freitag im Interview mit dem Tagesspiegel verkündet hat: „Ich gehe von einem friedlichen 1. Mai aus.“ Die Ansage galt offenkundig für die Walpurgisnacht gleich mit. Und Henkel bekommt recht, zumindest in der Nacht zum Maifeiertag. Das antikapitalistische Publikum ist wenig manierlich, aber Randale bleibt aus. Die Rebellen posieren nur. Schon beim Open-Air-Konzert in der Gerichtstraße ist eine Retro-Party zu besichtigen.

Enorm viele Punks sind gekommen. Dabei erstaunt schon, dass es diese Subkultur noch gibt, obwohl sie schon länger nicht so sehr viel zum kulturellen Fortschritt der Menschheit beiträgt. Doch Irokesenkämme in neongrün, goldschwarz und knallgelb, mit Nieten übersäte Lederwesten und zerfetzte Jeans, offenbar mit Rasenmähern bearbeitet, sind in Teilen der Jugend immer noch hip.

Und dann sind auch noch alternde Skinheads gekommen. Keine Rechten, sondern Restbestände der Red- und Sharp-Skin-Szene. Bullige Kerle, die Glatze endet im wulstigen Nacken, das Fred-Perry-Hemd spannt an Bauch und Achseln. Und alle, Skins und Punks und ein paar Antifas, trinken friedlich ihr Bier. Aus Plastikbechern. Die Polizei nimmt bei den Einlasskontrollen an den Enden der Konzertmeile freundlich-resolut Flaschen weg und gibt die Becher aus. So plätschert das Open-Air vor sich hin. Die Subkulturen bleiben unter sich, Migranten und durchschnittsdeutsche Weddinger lassen sich nicht blicken, bis auf einen Rentner. Er wolle sich „mal einen Eindruck verschaffen.“ Der Mann blickt skeptisch. An seinem Mietshaus sei die gläserne Eingangstür vernagelt, aus Angst vor Steinwürfen, aber dass Spekulanten den Mietpreisspiegel ignorieren, nervt ihn auch. Doch die Punks, findet der Rentner, „sind hier fremd“.

So läuft der 1. Mai 2012 auf den Straßen Berlins

Etwas Stimmung kommt nur auf, als ein Liedermacher, der sich „Holger Börner“ nennt und vom Leibesumfang her auch an den gleichnamigen, früheren Ministerpräsidenten Hessens erinnert, einen beinhart kapitalistenfeindlichen Wut-Rap aufführt. „Wir sind die Generation Krise, keine Kohle, keine Zukunft, keine Perspektive“, dröhnt Holger Börner, ein paar Dutzend Schwarzjacken recken die Fäuste. Doch die Demo, die um 20 Uhr beginnen soll, scheint niemanden zu interessieren. Auch um 21 Uhr nicht. Plötzlich geht es doch los. Mit zwei Stunden Verspätung haben sich mehrere hundert Demonstranten auf der nahen Müllerstraße versammelt, auf einem Transparent ruft ein zähnefletschendes Comicmonster allen Gentrifizierern zu: „Hände weg vom Wedding.“ Die Spitze des Zuges bildet ein schwarzer Block, vielleicht hundert Autonome, dann folgen Fahnen der DKP-nahen „Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend“.

Es ist kühl geworden, die Demonstranten marschieren zügig von der Müllerstraße durch ein Altbauquartier und skandieren „A - Anti - Anticapitalista“. Die Polizei hat die Seitenstraßen gesperrt, nach einer Stunde kommt die Demo, überraschend stark auf 3000 Leute angeschwollen, wieder auf die Müllerstraße zurück. Da bricht der Anmelder den Aufzug ab, weil ihm das Spalier der Polizei zu massiv erscheint. Ein kritischer Moment. Gerade jetzt fängt es an zu regnen. Hat der Innensenator ein Tief „Frankie“ geordert? Die fröstelnden Demonstranten, schwankend zwischen der Neigung zum Krawall und der Fahrt in einer warmen U- oder S-Bahn, blicken irritiert in den dunklen Himmel. Die Polizeiketten drängen weiter, hin zum U- und S-Bahnhof Wedding. Keine Flasche fliegt, kein Stein. Frank Henkel hat die erste Runde gewonnen. Diese Walpurgisnacht bleibt friedlich. Vielleicht, weil Wedding den jungen Antikapitalisten weniger vertraut ist als der Mauerpark und der Boxhagener Platz, wo in den vergangenen Jahren in der Nacht zum 1. Mai heftig gefeiert wurde, gern auch gegen die Polizei. Diesmal hat sie die Lage im Griff.

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