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Großes Lager. Das Team von xi-design bringt Werbung auf Brandwände (v.l.nr.): Kimo von Rekowski, Jörn Reiners, Mitarbeiterin Lisa Schmidt, Marco Bollenbach.

© Eugen Lebedew

Wandgemälde in Berlin: Wie der "allerschlechteste Maler" mit Graffitis Geld verdient

Werbung aus der Dose: Eine Firma aus Mitte hat sich auf Murals spezialisiert – riesige Wandgemälde. Und manche verändern sich sogar.

Dass sich in dem Gebäude in der Nürnberger Straße früher eine Bank befand, kann man nicht nur am Klingelschild erkennen, auf dem noch immer „Grundkreditbank“ steht. Im Keller sind die riesigen Tresorräume zu bestaunen, die Panzertüren sind meterdick. Kimo von Rekowski führt durch das leer stehende Haus, von ganz unten bis nach ganz oben.

Im vierten und fünften Stockwerk sind einige Künstler bereits dabei, Räume und Flure zu gestalten. Bis Ende März werden 120 Künstler aus der ganzen Welt fast jede Wand in Kunstobjekte verwandelt haben. Am 1. April wird „The Haus – Berlin Art Bang“ öffnen. Im August wird das Gebäude abgerissen. „The Haus“ ist also ein temporärer Kunst-Ort, spätestens Ende Mai ist Schluss mit der Ausstellung. „Geschaffen, um zerstört zu werden“, lautet der Untertitel des „Kunstwerkes für die Endlichkeit“.

Zurzeit stecken Kimo von Rekowski, Jörn Reiners und Marco Bollenbach viel Zeit und Energie in das Projekt. Dabei haben die drei, die „Kimo“, „Jörni“ und „Bolle“ genannt werden möchten, eigentlich gar keine Zeit. Denn die drei betreiben seit einigen Jahren eine Firma. Und diese floriert zusehends. Zuletzt mussten sie sogar zwei Mitarbeiter einstellen. „Wir wollten eigentlich niemanden bei uns im Büro sitzen haben“, sagt Kimo, „aber es lässt sich nicht mehr anders handeln“. In den letzten Jahren sei xi-design einfach zu stark gewachsen.

Riesige Bilder auf Fassaden und Giebelwänden

Xi-design ist nach eigenen Angaben ein Kommunikationsunternehmen mit dem Schwerpunkt auf handgemalter Außenwerbung. Auf Fassaden und Giebelwände in Berlin und anderen deutschen Städten sprühen sie gemeinsam mit anderen Künstlern riesige Bilder, sogenannte Murals. In Berlin kann man derzeit zum Beispiel an einer Brandwand an der East- Side-Gallery auf 300 Quadratmetern Werbung für das neue Album der Londoner Band The xx sehen. Nur ein paar Meter weiter wirbt ein Gemälde fürs Museum Barberini in Potsdam.

In der Eberswalder Straße, gegenüber vom Mauerpark, haben zwölf Künstler sieben Tage lang an einem Mural gearbeitet, das den Kinofilm „The Great Wall“ anpreist, in der Prinzessinnenstraße ist eine Brandwand seit Kurzem mit Sportartikel-Werbung besprüht. Immer mehr Unternehmen setzen auf diese „Plakatmalerei der neuen Generation“, wie Kimo es nennt. Im vergangenen Jahr hat das Berliner Trio rund 70 Aufträge erfüllt, 2015 waren es gut 50, 2014 erst 30. Die meisten Bilder finden sich in Berlin, aber auch in Hamburg, Köln, München, Düsseldorf und Stuttgart bringt xi-design Werbung aus der Dose auf Wände.

Auf der Hamburger Reeperbahn ist derzeit zum Beispiel eine Großformat-Werbung für Whisky zu sehen. Keiner der drei Unternehmensgründer hätte sich vorstellen können, dass ihre Arbeiten einmal derart gefragt sind. So recht darauf angelegt haben sie es auch nicht. Aber wenn Kreativität und Können auf Zeitgeist treffen, ist eben plötzlich alles anders.

Die Werbeanzeige für eine Internetserie im Großformat an einer Berliner Hauswand.
Die Werbeanzeige für eine Internetserie im Großformat an einer Berliner Hauswand.

© Eugen Lebedew/ promo

Über Umsätze spricht Kimo nicht

Um den Erfolg zu erklären, muss man ein bisschen zurückgehen. Kimo, der von sich aus sagt, der „allerschlechteste Maler“ zu sein („Ich kann nur Punkt, Punkt, Komma, Strich – fertig ist das Mondgesicht“), eröffnete Anfang der Nullerjahre im Alter von 18 in Kreuzberg einen Großhandel für Tattoo-Equipment. Jörni und Bolle, der eine Architekt, der andere Mediengestalter, waren zu dieser Zeit längst dabei, in ganz Deutschland illegal Wände zu bemalen. Weil sie aber in den Wintermonaten draußen nichts tun konnten, eröffneten sie ein Tattoo-Studio. Eines Tages also spazierten die beiden in Kimos Laden – und es „war wie Liebe auf den ersten Blick“, so Kimo. Der verkaufte kurzerhand sein Unternehmen und zu dritt bauten sie xi-design auf.

Über Umsätze spricht Kimo nicht. Aber grob kann man sich ein Bild machen. Einen fünfstelligen Betrag müssen ihre Kunden für einen Monat Großformatwerbung mindestens zahlen, je nach Aufwand und Zusatzelementen geht es bis in sechsstellige Höhen hinauf. Die drei können nach eigenen Angaben gut davon leben – und freie Kunstprojekte wie etwa „The Haus“ finanzieren.

Auch die Außenwerbung für den Kinofilm "Rogue One" füllt die gesamte Außenfassade eines Hauses.
Auch die Außenwerbung für den Kinofilm "Rogue One" füllt die gesamte Außenfassade eines Hauses.

© Eugen Lebedew/ promo

In einem großen Raum im Erdgeschoss des noch nicht fertigen Kunsthauses sitzen Kimo, Bolle und ein paar andere Leute auf Klappstühlen, bei Filterkaffee und Croissants. Eine Künstlerin bespricht letzte Details, der Kölner Künstler Semor fragt nach einer Bohrmaschine. „Wird wohl erst morgen hier sein“, heißt es. Im Nebenraum stapeln sich Materialien, Sprühdosen, Wasserwaagen und Holzplanken, teils gesponsert von Berliner Unternehmen. „The Haus“ steht gerade im Fokus der xi-design-Lenker, die gleichzeitig Künstler sind. Doch man sollte sich nicht täuschen lassen. Das Geschäft geht nebenher weiter. Die Männer mit den modernen Turnschuhen, Kapuzenpullis und Tattoos können rechnen. Sie haben die Vokabeln der Businesswelt genauso drauf wie die der Street-Art-Akteure.

"Immer wieder etwas Neues und Spannendes"

Eine solche Vokabel aus der Wirtschaftswelt lautet zum Beispiel: Weiterentwicklung. „Wir müssen unseren Kunden immer wieder etwas Neues und Spannendes anbieten“, sagt Kimo. Zwar sei xi-design das einzige Unternehmen, das die Bilder nicht per Beamer, sondern „frei Hand, mithilfe eines Rasterverfahrens malt“. Dennoch: „Wir wissen, alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“, sagt er. Soll heißen: Wenn man nicht aufpasst, könnte die Konkurrenz einen eines Tages überflügeln. Damit das nicht passiert, bringen die Chefs immer wieder neue Verfahren und Trends heraus.

Seit geraumer Zeit arbeiten sie zum Beispiel mit Mapping. Dabei wird mithilfe eines Beamers, der in einem großen Wassergehäuse steht, das gleiche Bild noch einmal projiziert, sodass bewegende Elemente entstehen. Gut zu sehen war dieser Effekt kürzlich auf einem Mural an der East-Side-Gallery, das den neuen Star-Wars-Streifen bewarb. Aktuell setzt xi-design die Technik für die Werbung in der Prinzessinnenstraße ein. „Man kann mit einem Bild so viel machen“, sagt Kimo. Das Thema Interaktion werde immer wichtiger, und das gehe auch ohne Mapping. Gerade haben die Unternehmer zum Beispiel einer Fitnessstudio-Kette folgende Idee vorgeschlagen: Am Anfang sieht man eine korpulente Person im Studio. Von Woche zu Woche verliert sie durch das Training mehr Pfunde. Die Veränderung darzustellen ist aufwendig. Jede Woche müssen die Künstler per Hebebühne hinaufgefahren werden, um das Bild zu verändern.

Wäre der Effekt nicht auch mit Plakaten hinzubekommen? Man könnte sie wöchentlich wechseln. Kimo schüttelt mit dem Kopf: So lassen die Macher von jeder Bemalung ein Making-of-Video erstellen und es im Internet verbreiten. Aus den bis zu fünf Millionen Sichtkontakten pro Monat, die eine Malerei an einem guten Standort einbringt, kommen auf diese Weise weitere Kontakte hinzu. „Wir können die Reichweite verdoppeln oder gar vervierfachen. Ein Plakat hat da keine Chance“, sagt Kimo. „Keiner will sehen, wie ein Plakat aufgehängt wird.

Der Text ist der aktuellen Ausgabe des Tagesspiegel-Wirtschaftsmagazins „Köpfe“ entnommen.

Sabine Hölper

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