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Wann sollte man wählen?: 9:35? 11:20? 17:59?

Bernd Matthies über die beste Zeit, wählen zu gehen.

Achtung, Wahlsonntag! Und die Gelegenheit, so viel falsch zu machen. Das Falsche zu wählen, natürlich. Aber vor allem: den richtigen Zeitpunkt zu verpassen. Nehmen wir den Musterwähler. Er stellt den Wecker auf sieben, duscht und hastet ungefrühstückt zum Wahllokal, wo er der Erste ist. Das Dumme ist, dass das außer den Wahlhelfern keiner sieht.

Klüger ist es also, den Spitzenpolitikern nachzueifern. Die stärken sich zunächst mit Müsli und Nutella, bis die Wangen schön leuchten, dann nehmen sie Hund und Ehepartner, prüfen, ob das von ihrer Pressestelle bestellte Fernsehteam anwesend ist, und wählen in Ruhe. 9 Uhr 35 ist eine gute Entscheidung, die nicht streberhaft wirkt, aber auch nicht den Eindruck apolitischer Verschlafenheit aufkommen lässt.

Das ist immer noch ziemlich früh, und wir Nicht-Politiker sagen uns: Der Landeswahlleiter liebt all unsere Stimmen, egal ob früh oder spät, wir schlafen aus und gehen mit Muße. Eine gute, aber eher nach Bayern weisende Regel lautet deshalb „zwischen Kirche und Frühschoppen“. In Berlin sind Kirche und Frühschoppen gleichermaßen ein wenig aus der Mode, aber das sollte uns überzeugte Christen nicht verdrießen. 11 Uhr 20, wenn auch Herr Doktor Klöbner mit seiner Frau und der Dings, dieser zerstreute Professor, wie heißt er doch gleich, wählen gehen, das ist eine hervorragende Zeit.

Ebenfalls aus der Mode ist der Sonntagsbraten, aber viele Wähler beharren dennoch darauf, dass sie ihre Stimme grundsätzlich erst nach dem Mittagessen abgeben. Da ist allerdings die Hirntätigkeit verdauungsbedingt eingeschränkt, und die Wahrscheinlichkeit falscher bis total beknackter Entscheidungen steigt; mancher Forscher behauptet sogar, die meisten ungültigen Stimmen („alles Arschlöcher!“, „Adenauer!“, „Kaiser Wilhelm!“) würden gleich nach dem Mittagessen abgegeben.

Besser also: Die Wahlentscheidung noch einmal ein Stündchen lang auf dem Sofa überschlafen, einen strammen Cappuccino trinken – und dann. CD... Oder doch lieber die Sozis wie damals? Grüne, mein Gott, aber man könnte ja auch splitten, selbst wenn die Kanzlerin das verboten hat. Schwere Entscheidung! Nun geht die Uhr langsam auf fünf, eine Stunde Zeit ist noch, aber wie sieht das denn aus? Die glauben doch, wir hätten die Wahl fast vergessen, womöglich mit dem Gedanken an Verweigerung gespielt und seien kurz vor Schluss noch umgefallen, wie peinlich. Also, was denn nun? Dann fängt es an zu regnen, es schlägt sechs, ach, schauen wir halt in der Glotze, was die anderen so gewählt haben.

Man hätte natürlich auch briefgewählt haben können. Aber gibt es Schlimmeres, als dann noch vor dem Wahlsonntag zu erkennen: Das war falsch! Also doch lieber hingehen. Vor dem Frühstück? Oder danach? 

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