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Berlin: Warten auf die Welle

Am Holocaust-Mahnmal geht es voran, doch vom wogenden Stelenfeld ist noch nichts zu sehen

„Wo ist hier eine Welle?“ Pablo Wegbrait aus Buenos Aires schaut ratlos, Peter Schwarz aus Bonn ebenso, und auch Christian Kiefer aus Berlin sieht in den versetzt aufgestellten ersten 400 von über 2700 Stelen nicht den tieferen Sinn. Hunderte Zaungäste klettern auch an diesem Sonnabend auf den Info-Aussichtspunkt an der Ebertstraße. Sie blicken auf die grauen Betonsäulen, aber sie können den Wellenschwung eines wogenden Weizenfeldes nicht erkennen, den sich der Architekt Peter Eisenman für das Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals vorgestellt hat. Jenes Wogen, wie es auf der Computer-Simulation am Bauzaun zu sehen ist. Aber ohnehin stehen noch viel zu wenig Stelen, als dass Laien schon die große Linie erkennen. Viele sehen vor allem das Durcheinander einer Baustelle. Vielleicht auch deshalb bemerkten sie gar nicht, dass Unbekannte etwa 40 Zettel mit verunglimpfenden Parolen in der Nähe der Baustelle verteilt hatten. Ein Wachschutzmitarbeiter hatte die Plakate entdeckt. Wer sie aufgehängt hatte, ist nicht bekannt.

Den gewünschten Welleneffekt an den Stelen vermissen auch die Bauleute. Vision und Wirklichkeit stimmen noch nicht überein. Darauf machte, wie berichtet, vor wenigen Tagen die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas aufmerksam. Der amerikanische Architekt selbst hatte beim letzten Baustellenbesuch festgestellt, dass der leichte Schwung, jene doppelte Wellenbewegung durch die Säulen auf unterschiedlich hohem Baugrund auf seiner Computer-Zeichnung besser zur Geltung kam.

„Kein Skandal“, beruhigt Uwe Neumärker von der Stiftung. Die Baufirma habe jedenfalls keinen Fehler gemacht, „es waren die Berechnungen im Computer“. Eine Simulation für ein 19000 Quadratmeter großes Gelände lasse sich schwer darstellen. Eisenman habe dann „sehr kompromissbereit“ an einigen Stellen Höhen und Neigungswinkel verändert. Es spreche für seine Genialität, dass nur 93 Stelen verändert werden müssten. Stelen, die noch gar nicht aufgestellt worden sind. Die Mehrkosten betragen 38000 Euro, die an anderer Stelle eingespart werden, die Gesamtkosten sind mit 27,6 Millionen Euro veranschlagt, das gesamte Stelenfeld soll bis zum Jahresende fertig sein. Die Stiftung ist sicher, dass die Stelen dann so wellenförmig wie auf den Fotos wirken.

Computerbilder mit dem Blick von oben versprechen nicht immer, was die Wirklichkeit auch halten kann. Petra Reetz, die Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, erinnert sich an den „Schock“, den sie beim Rundgang durch das neue Viertel am Potsdamer Platz erlebte. Ihr hatten sich die Simulationen aus der Vogelperspektive so eingeprägt, dass sie sich über die hohen Wände ringsum wunderte und „ganz klein“ fühlte. Takis Skouros, bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zuständig für Gebäude-Simulationen, hält die Hilfe der Computer für unabdingbar bei der städtebaulichen Kontrolle. „In der Regel drückt man auf den Knopf und guckt sich das Ergebnis an.“ Früher habe es nur Stadtplanung mit „Bauklötzchen“ gegeben, heute könne mit allen Perspektiven gearbeitet werden. „Es gibt sonst kein Instrument, um sich die Zukunft besser vorzustellen.“

Und so schauen die Betrachter am Bauzaun des Mahnmals immer wieder auf die Computer-Fotos vom künftigen Stelenfeld. „Die Wirklichkeit ist noch zu rätselhaft“, sagt Pablo Wegbrait.

Christian van Lessen

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