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Wahlbezirke (6): Was Friedrichshain-Kreuzberg ausmacht

Die Moderatorin und Buchautorin Miriam Pielhau erzählt, warum sie sich in ihrem Kiez in Friedrichshain engagiert. Thees Uhlmann, der bald sein erstes Soloalbum veröffentlicht, zeigt seinen Lieblingsort in Kreuzberg.

Friedrichshain ist ein gemütliches Dorf, findet die Moderatorin Miriam Pielhau.

Der Mann schreit. Mit zusammengekniffenen Augen und weit geöffnetem Mund. Der Mann ist ein grau-weißes Graffiti auf einem unrenovierten Haus. Miriam Pielhau bleibt davor stehen und sagt: „Ich fühle mich in Friedrichshain so wohl, weil es hier so bunt ist.“ Mit „bunt“ meine sie sowohl die Menschen, die hier leben und die Besucher, die kommen, um zu feiern, als auch die Graffiti an den Wänden – selbst wenn die manchmal eher grau sind: „Hier verewigt sich die Szene noch an den Mauern, und das mag ich“, sagt die 36-jährige Moderatorin, Buchautorin und ehemalige Chefredakteurin des inzwischen eingestellten Fernsehsenders NBC Europe. In den vergangenen zehn Jahren moderierte sie sich einmal quer durch die deutsche Privatfernseh-Landschaft – von „Big Brother“ bis „Taff“. Inzwischen macht sie die RBB-Sendung „Ein Wochenende mit...“. Vor kurzem war sie häufig Talkshow-Gast: Miriam Pielhau war krebskrank und hat einen Bestseller über den Umgang mit der Krankheit geschrieben. Nach Stationen in Heidelberg, Köln, München und Berlin-Mitte lebt sie jetzt seit fast drei Jahren in Friedrichshain, ist wieder gesund und schreibt an einem Roman. „Als Einstieg für Berlin war Mitte total okay“, sagt sie, während sie durch den Nieselregen weiter in Richtung Boxhagener Platz läuft. „Aber Friedrichshain ist gemütlicher. Hier kann man eher Wurzeln schlagen.“ Das hat sie getan.

„In Mitte gab es Nachbarn, die uns bis zum Schluss nicht gegrüßt haben, hier in Friedrichshain hat man uns gleich eingeladen, bei einer Nachbarschaftsinitiative mitzumachen.“ Und sie und ihr Mann, ein Musiker, ließen sich darauf ein. Die Mitglieder der Initiative organisieren etwa Straßenfeste und gerade haben sie einen Antrag beim Bezirksamt gestellt, aus ihrer Straße eine Tempo-30-Zone zu machen: „Hier wurde ganz schön geheizt. Aber ich neige nicht zum Meckern, sondern zum Machen. Man muss immer gucken, was man selbst dazu betragen kann, die Lebensqualität im Viertel zu verbessern.“ Die Nachbarschaftsinitiative ist also genau das Richtige für Miriam Pielhau. „Aber bei uns ist es jedem frei gestellt, ob und mit wie viel Aufwand er sich engagieren will. In Friedrichshain hat man die optimale Mischung: Zusammenhalt wie in einem Dorf, aber ohne die Nachbarschaftsüberwachung.“

Spricht man sie auf die steigenden Mieten und die Gentrifizierung an, antwortet Miriam Pielhau diplomatisch und pragmatisch. Sie finde es zwar wichtig, dass auch Leute mit einem kleineren Einkommen nicht verdrängt werden, aber das sei andererseits ein idealistischer Wunsch. „Wie sollte die Politik das denn reglementieren.“ Vor allem aber findet sie, dass die Sozialstruktur im Kiez noch in Ordnung ist: „Man muss kein Akademikerpaar sein, um hier angenehm zu leben.“ Das sehe man etwa auf dem Markt am Sonnabend auf dem Boxhagener Platz. Nicht nur hier hat sie „ein besseres Miteinander der Menschen mit und ohne Kinder als in Prenzlauer Berg“ beobachtet.

Und dann sind da ja noch die Gäste: Gegen Touristen zu protestieren, wie es in letzter Zeit immer mehr Berliner getan haben, findet Miriam Pielhau „total asozial“. „Das sind doch diejenigen, die das Geld in die Stadt bringen.“ Sie glaubt nicht, „dass wir wie Montmartre enden – an jeder Ecke Touristenshops und Leute, die hässliche Karikaturen von Touristen zeichnen“. Außerdem tragen die „Touristen aus aller Welt“ zu dem Kribbeln bei, das sie so toll findet an Friedrichshain.

Die größte Veränderung im Stadtteil beobachtet sie aber am Ostkreuz: „Bevor der Umbau anfing, war der Bahnhof das Sinnbild des Abgefuckten.“ Das fand sie so faszinierend, dass sie immer wieder Fotos davon gemacht hat: „Man kann nur hoffen, dass die neue Architektur auch dem Stadtbild entspricht und die Gegend nicht verschandelt.“ Aber eigentlich ist sie optimistisch für Friedrichshains Zukunft: „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass der Stadtteil so schick wird wie Mitte oder Prenzlauer Berg.“ Daniela Martens

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Thees Uhlmann an Kreuzberg gefällt, und was ihm Unbehagen bereitet.

Kunst am Bau. Sänger Thees Uhlmann vor graffitiverzierter Friedhofsmauer.
Kunst am Bau. Sänger Thees Uhlmann vor graffitiverzierter Friedhofsmauer.

© Kai-Uwe Heinrich

An Kreuzberg schätzt der Musiker Thees Uhlmann das lockere Nebeneinander.

Ein Hinterhof in der Dieffenbachstraße. Thees Uhlmann lehnt an der Wand und wirkt entspannt, auch wenn er schon mehrere Interviews an diesem Nachmittag hinter sich hat. In wenigen Tagen erscheint sein erstes Soloalbum, das seinen Namen trägt. Der Ort, um dafür zu werben, könnte nicht besser gewählt sein, denn ein Großteil der Stücke ist ganz in der Nähe entstanden – Uhlmann hat sie daheim geschrieben. Vor sechs Jahren ist Thees Uhlmann, Sänger und Kopf der Band Tomte, nach Kreuzberg gezogen, in den Bergmann-Kiez. Er folgte damit dem Rat eines Kollegen: „Sven Regener sagte mal zu mir, du bist ein Kreuzberg-Typ. Und er ist einer der schlausten Menschen, die ich kenne, ihm darf man nicht widersprechen.“ Aufgewachsen ist Uhlmann in Hemmoor, einem Ort in der Nähe von Cuxhaven. Nach dem Abitur zog er erst nach Köln, später nach Hamburg, wo er Englisch und Politik fürs Lehramt studierte, was nahe lag, denn seine Eltern waren Lehrer. Doch aus dem Abschluss wurde nichts. Der Erfolg seiner Band kam dazwischen. Heute pendelt der 37-Jährige zwischen Kreuzberg und Hamburg, wo er noch ein Zimmer hat, einfach weil viele Freunde dort wohnen und weil sein Plattenlabel dort sitzt. Es gibt jedoch Indizien, dass Uhlmann allmählich ein passabler Hauptstädter geworden ist. Fragt man ihn zum Beispiel nach seinem Lieblingsort in Kreuzberg, führt er einen zu den Friedhöfen an der Bergmannstraße, hier hat er seine Tochter früher oft im Kinderwagen spazieren gefahren. Aber noch bevor man denkt, die Friedhöfe seien ja nahe liegend, läuft er an den Eingängen vorbei, biegt in die Golßener Straße ein und bleibt kurz vor der Jüterboger Straße stehen. Dann zeigt er auf einen verblassenden Schriftzug an der Friedhofsmauer. „Ich verschaffe mir Recht“, steht da in kritzeligen Großbuchstaben, darunter die Initialen des Verfassers „M. K.“. Uhlmann betrachtet den Satz grinsend und sagt: „Ich finde, das ist große Kunst.“ Zurück in der Dieffenbachstraße. Thees Uhlmann sitzt in einem Café und trinkt Pfefferminztee, während der Kreuzberger Alltag an ihm vorbei zieht. Ein altes Ehepaar, das sich an den Händen hält. Eine Gruppe junger Türkinnen, die laut lachend die Straße entlang geht. Ein Kind, das gerade von der Schule kommt und in einem Hauseingang verschwindet. Uhlmann zündet sich eine Zigarette an und sagt: „Das mag ich an der Gegend hier, dass große Teile der Gesellschaft so locker nebeneinander herlaufen. Dieser unemotionale Alltag.“ Eindrücke, die im Gegensatz zu seinen ersten Erinnerungen an Kreuzberg stehen. Anfang der neunziger Jahre, Uhlmann besuchte seinen Bruder, abends wollten sie ein Bier trinken gehen und landeten am Mariannenplatz. Es war 1. Mai. Auf der einen Seite des Platzes standen Polizisten, auf der anderen Seite Autonome mit Pflastersteinen in den Händen, die sie rhythmisch aufeinander klopften. Klack, klack, klack. Uhlmann wurde mulmig zumute, er dachte: „Das kleine Dorfkind kommt in die große Stadt.“

Heute bereiten ihm anderen Dinge Unbehagen. Zum Beispiel die Zustände in der Reinhardswald-Grundschule in der Gneisenaustraße, wohin er mit seiner Tochter zum Kinderturnen geht und wo die Toiletten mehrere Monate in einem unzumutbaren Zustand waren. „Schlimmer als im dreckigsten Punk-Laden, in dem ich je gespielt habe.“ Oder die Junkies, die letzten Winter am U-Bahnhof Südstern rumhingen. „Nicht dass ich Angst vor denen hätte, aber die Drogenpolitik der Stadt muss sich ändern. Es müssen mehr Therapieplätze geschaffen werden.“ Handlungsbedarf sieht er auch bei den vielen Hundehaufen auf den Gehwegen. Erst neulich habe er den Besitzer eines Hundes gebeten, dessen Hinterlassenschaften zu beseitigen. Ein erstes Anzeichen für Spießertum? „Nein“, sagt Uhlmann und lächelt. „Es gibt keine Spießer, es gibt nur Leute über dreißig.“ Nana Heymann

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