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Berlin: Was für eine Wirtschaft!

Normalerweise kommt Daniel nicht mit Anzug in die Schule. "Ich wollte nicht, dass der Müller der Bestgekleidete ist," erklärt der 19-Jährige grinsend.

Normalerweise kommt Daniel nicht mit Anzug in die Schule. "Ich wollte nicht, dass der Müller der Bestgekleidete ist," erklärt der 19-Jährige grinsend. Dann zieht er sich mit seinen drei Freunden aus der Jahrgangsstufe 13 zur Beratung zurück. Schließlich ist der Bundeswirtschaftsminister nicht alle Tage zu Besuch in der Gustav-Heinemann-Oberschule.

Schulleiter Karl Pentzliehn hat alles bestens organisiert. Wie ein Dirigent steht er vor dem Halbkreis aus Schülern der Klassen 10 bis 12 und lässt noch ein letztes Mal die teils auswendig gelernten, teils auf Karteikarten notierten Fragen herunterrattern, bevor er zur Begrüßung des Ministers auf den Schulhof eilt. Langsam macht sich Nervosität breit - und mit der Nervosität kommt die Skepsis. "Könnt ihr mir mal sagen, was man mit einem Wirtschaftsminister über PISA reden soll?", fragt ein Schüler in die Runde.

Viel Zeit zum Nachdenken bleibt ihm nicht, denn mit einem knappen "Morgen" nimmt Werner Müller am Pult Platz. Claire Schlack und Daniel Derfert dürfen als Erste dem Minister die Hand schütteln und ihm einen Blumenstrauß in die Hand drücken. Das besondere Geschenk darf Jakob Greulich überreichen: Cigarillos. "Sie sind zwar nicht aus Kuba, sondern aus Dänemark, aber wir hoffen, sie schmecken trotzdem", meint Jakob. Die Frage beantwortet Müller mit einem Griff in seine Jackett-Tasche, aus der er eine identische Schachtel hervorzieht. Schlummert in dem als harten Arbeiter bekannten Müller vielleicht doch ein kleiner Bohemien, der sich gern selbst inszeniert, wollen die Schüler als Erstes wissen. "Ich verhehle nicht, dass mir das eher schwer fällt. Ich bin halt so wie ich bin. Und wenn ich dann doch mal zu Frau Christiansen gehe, frage ich mich die ganze Zeit, was will ich hier?" Wenn es darum gehe, das Leben zu genießen, sei er sicher ein Bohemien.

Gelegenheit dazu hatte Müller schon als Schüler. "Meine Eltern haben mir das Zentralabitur nicht zugetraut," berichtet der Minister. Zwei Jahre lang hatte der Schüler Werner Müller "sturmfreie Bude". Während seine Eltern nach Niedersachsen zogen, blieb der Sohn im Emsland. Fast wäre er auch an dem herkömmlichen Abschluss gescheitert: "Ich hätte beinahe mein Abiturzeugnis nicht bekommen, weil man sich nicht sicher war, ob ich die nötige sittliche Reife hatte", erzählt der Minister. Grund für die Bedenken war seine Lateinarbeit. Die hatte er nach einer Viertelstunde mit dem Kommentar "Sic transit gloria mundi" (So vergeht der Ruhm der Welt) abgegeben.

Schulleiter Pentzliehn zuliebe, der mit Müller eigentlich über die "Relevanz der PISA-Studie für den Wirtschaftsstandort Deutschland" diskutieren wollte, kommt der Minister zum Ende seiner privaten "Feuerzangenbowle-Novelle". Eigentlich könne er über seine Schulzeit nur das Beste sagen, resümiert er. "Ich habe einen exzellenten Mathematik-Unterricht genossen, auf dessen Basis ich Hochschullehrer für Wirtschaftsinformatik geworden bin. Ich kenne die PISA-Studie nicht so gut", gibt er zu und berichtet daher von seiner Erfahrung als Hochschullehrer und verteidigt seine Forderung nach der Einführung eines Wirtschafts-Grundkurses in der Schule. Ob er Kinder zu gestressten Vollzeit-Arbeitern erziehen möchte, fragt ein Schüler in der ersten Reihe, der einen übervollen Stundenplan wegen des neuen Schulfachs fürchtet. "Eine 30-Stunden-Woche ist nicht das, was in der freien Wirtschaft vorkommt", meint Müller gelassen, "Aber wenn Sie schon hart am Zeitlimit existieren, dann will ich Ihnen das glauben und keine Rückschlüsse ziehen."

Mit Sprüchen wie diesen konnte Müller, dem es bekanntlich schwer fällt, sich selbst zu inszenieren, in den 90 Minuten zumindest einen Fan gewinnen. Lea Naroska musste der Wirtschaftsminister ein Autogramm auf einem 5-Euro-Schein geben. Überhaupt schien er sich an der Gustav-Heinemann-Schule deutlich wohler zu fühlen als im Studio von Sabine Christiansen.

Judith Kessler

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