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Berlin: Was ihnen zusteht – und was nicht

Küchenbuffet, Kühlschrank, Waschmaschine: Brauchen die das wirklich? Unterwegs mit der Prüferin vom Sozialamt Mitte

Von Amory Burchard

Ideales Prüferwetter“, sagt Marion Kurzke, spannt den Schirm auf und geht los. Die Mitarbeiterin des Sozialamtes Mitte steuert eine Wohnung am Leopoldplatz an. Montagmorgen, kurz nach acht Uhr, Dauerregen. Herr K. ist zu Hause. Er öffnet die Wohnungstür verschlafen, in Unterhose und T-Shirt, Mitte 30 ist er alt. Auf Marion Kurzke hat er schon einen guten Eindruck gemacht, bevor sie ihn gesehen hat. Sein Klingelschild war mit einem Computerausdruck beschriftet. „Ordentlicher Mann“, registriert die Prüferin.

Nachdem sie die Wohnung von K. gesehen hat, ist klar: Zu Hause kann er das nicht getippt haben. „Der Mann besaß nichts außer einer Matratze und einem Fernseher“, berichtet Kurzke. Beantragt hat der Sozialhilfeempfänger Bett, Schrank, Stühle, Tisch, Couch, Küchenmöbel, Teppich, Gardinen, Geschirr. Er ist gerade aus einem Obdachlosenheim in die erste eigene Wohnung seit fünf Jahren gezogen.

Früher hätte er die Ersteinrichtung ohne weiteres bekommen. Jetzt klingelt vor solchen Sachleistungen immer der Prüfdienst. Ohne Terminabsprache. Marion Kurzke und ihre Kollegen sind schließlich Ermittler. Da muss man schon überraschend auftauchen. Selbst bei dem mittellosen Herrn K. entdeckt Frau Kurzke etwas, was die Sachbearbeiterin später von der Wunschliste streichen kann. Zwar hat der Mann nur eine Tasse und ein Messer, aber die liegen auf der Arbeitsfläche eines Küchenschranks. „Von Nachbarn geschenkt bekommen“, sagt Herr K. Gebraucht, bekleckert – er möchte lieber einen Neuen. Frau Kurzke rät zum Wischen und notiert in ihrem Protokoll einen „gebrauchsfähigen Küchenschrank“ – gnadenlos.

Freut sie sich jetzt, dass sie wieder geholfen hat, eine Hand voll Euro einzusparen? Um das Geld, sagt Marion Kurzke, gehe es erst in zweiter Linie. Sie stelle nur den Bedarf fest. Die Leute sollen bekommen, was ihnen gesetzlich zusteht – nicht mehr und nicht weniger. Trotzdem: 900 000 Euro „Minderausgaben“ hat der Prüfdienst in Mitte 2001erzielt. Nicht viel bei 444 Millionen Euro Sozialausgaben, sagt der Stadtrat: „Aber nach außen hin ist das ein wichtiges Signal. Wir zeigen, dass mit den Steuergeldern vernünftig umgegangen wird.“

Bei den Sozialhilfeempfängern hat es sich herumgesprochen, dass der Prüfdienst kommt, bevor es Geld gibt. Die kleinen Betrügereien seien zurückgegangen, sagt Marion Kurzke. Oft ermittelt sie die gravierenderen Vergehen, wenn sie einmal in der Wohnung ist: „Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaften“ angeblich allein Lebender.

Seitdem Fernsehteams mit strengen Prüfern unterwegs sind, um skrupellose Betrüger zu entlarven, bekommt das Sozialamt viele Hinweise aus der Bevölkerung: Hier ein dickes Auto, da ein schwarzer Job. In Mitte geht man dem nach, so weit es die Kräfte erlauben. Von elf Mitarbeitern sind nur neun unterwegs; zwei sind dauerkrank. Die letzten Kolleginnen auf Probe, sagt Marion Kurzke, hätten wieder aufgegeben: Die eine ertrug das Elend nicht, der anderen fiel es schwer, „an sich zu halten“, wenn sie Unregelmäßigkeiten aufdeckte. Das große Abenteuer verspreche der Job auch nicht. Die Prüfer von Mitte sehen sich nicht als „Sozialdetektive“. Aber wenn Kurzke durch den Briefschlitz einer scheinbar leeren Wohnung lugt, notiert sie ihre Beobachtungen doch mit einem stolzen Lächeln.

Vor der nächsten Haustür studiert sie den nächsten Antrag: „Eine Deutsche, 1937 geboren, allein lebend, erster Stock Mitte.“ Was ihr dazu einfällt? Wenn ein Mann aufmacht, werde sie sich fragen, ob der nur zu Besuch ist oder da wohnt. Wie weit geht das professionelle Misstrauen? Prüferin Kurzke sagt, sie wolle nicht die Vorgeschichte kennen, und nach dem Hausbesuch vergesse sie private Details schnell wieder. Unvoreingenommen vorgehen, aber genau hinschauen.

Die ältere Frau will eine Schlafcouch für ihre Einzimmer-Wohnung. Derzeit schlafe sie auf einem normalen Sofa. Die Prüferin wendet sich dem Klingelbrett zu. Der der Frau steht nicht dran, auch nicht an der Tür im ersten Stock Mitte. Marion Kurzke holt tief Luft und klingelt. Niemand öffnet. Überhaupt ist es verdächtig still im Haus. Von der Straße aus blickt die Prüferin zu den Fenstern hoch, hinter denen die Frau leben soll. Keine Gardinen, ungeputzte Scheiben – im ganzen ersten Stock. Rätselhaft, aber vielleicht hat die Sachbearbeiterin aus Versehen eine alte Adresse übertragen. Wahrscheinlich wieder kein Skandal.

Marion Kurzke läuft weiter durch die Straßen. In ihrem sommerlichen Jeansanzug mit Caprihosen und den bequemen schwarzen Schnürschuhen ist sie ganz die nette Nachbarin. „So soll es aussehen“, sagt sie und klingelt bei einer palästinensischen Familie, die eine neue Waschmaschine braucht. Im Prinzip ist alles in Ordnung: In der Küchenzeile klafft eine Lücke. Aber im Wohnzimmer steht ein großer Fernseher, daneben eine Musikanlage. „Geschenke von meinem großen Bruder“, sagt die Frau. Das Kinderzimmer dagegen ist kahl, nichts außer einem wackeligen Schrank. „Wo schlafen die Kinder?“, fragt Marion Kurzke. Auf Matratzen. Die Mutter zeigt in eine Ecke. Wieso reicht das Geld für Elektronik, aber nicht für ein Kinderbett?, fragt sich die Prüferin. Sie notiert, was den Kindern fehlt.

Der Rundgang endet versöhnlich. Ein türkisches Rentnerehepaar, das unterstützende Hilfe bekommt, braucht ebenfalls eine Waschmaschine. Lächelnd öffnen sie Frau Kurzke die Tür. Im Badezimmer steht eine Waschmaschine. „Kaputt, Wasser läuft raus“, erklärt der Mann. Ist das Gerät noch da, muss Marion Kurzke eine Funktionsprüfung machen. Wasser sprudelt, der türkische Rentner bekommt nasse Füße, seine Frau wischt das Malheur schnaufend wieder auf. Marion Kurzke bereut, dass sie so streng war – und freut sich, ein eindeutiges Protokoll verfassen zu können.

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