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Berlin: Was klagst du?

Heute steht Özcan Mutlu vor Gericht – weil er im Oktober 2001 einen Polizisten geduzt hat. Für das Beleidigungs-Verfahren wurde die Immunität des Grünen-Abgeordneten aufgehoben

Er war spät dran, musste sich also entscheiden: zwischen dem Polizisten und dem Präsidenten. Für Özcan Mutlu keine schwere Wahl, der Abgeordnete lief los, ließ sein Auto mit dem Uniformierten im Parkverbot stehen, warf seiner Cousine die Wagenschlüssel zu. „Man hat schließlich nicht alle Tage einen Termin mit Johannes Rau“, sagt Mutlu.

Im Fall des grünen Politikers allerdings führte der Weg von der Ehrentribüne direkt auf die Anklagebank: Heute muss sich Mutlu vor dem Amtsgericht Tiergarten wegen Beleidigung verantworten – weil er den Polizeibeamten G. am 11. Oktober 2001 geduzt haben soll. Dass es erst jetzt zur Verhandlung kommt, hat Mutlu vor allem seinem Beruf zu verdanken. „Es dauert ewig, ein Verfahren gegen Abgeordnete zu führen“, sagt Justizsprecher Björn Retzlaff. Im vergangenen Januar hatte der Rechtsausschuss die Immunität des grünen Abgeordneten aufgehoben, auch Mutlu selbst stimmte für den Antrag. Einen Tag vor dem Prozess wirkt er eher müde als kämpferisch. „Ich bin froh, wenn’s vorbei ist.“

Das dürfte PHM G. – was in den Akten für den Polizeihauptmeister G. steht – anders sehen. Er hat es Mutlu schon vor zwei Jahren mitgeteilt: Eine Entschuldigung für diesen Vorfall werde er nicht akzeptieren. Mutlu brauchte damals eine Viertelstunde, um den Bundespräsidenten auf der Treppe der Aziz-Nessin-Grundschule zu begrüßen und Rau in die Aula zu begleiten. Als er wieder auf die Straße trat, standen sie noch immer im Parkverbot: PHM G., die Cousine und sein Auto. Man begann zu streiten – und dabei vergriff sich Mutlu laut Staatsanwalt im Ton: „Du kannst mir gar nichts!“, soll er gerufen haben und: „Lass mich in Ruhe!“ Mutlu bestreitet das. Als PHM G. sich das Duzen verbat, habe er sich entschuldigt und höflicher weiter gestritten. Eine Anzeige wegen einer Lappalie! Gegen einen Politiker türkischer Herkunft! „Mit derartigen Schikanen werden Sie nicht verhindern, dass wir einen Platz in dieser Gesellschaft einnehmen“, schimpfte Mutlu.

Alles erlaubt, nur das „Du“ war strafbar. Dass das Duzen für Polizisten dagegen nicht in jedem Fall strafbar ist, hat PHM G. bereits in der Schule gelernt. Im Fach „Berufskunde und -ethik“ bekommen die Anwärter beigebracht, dass kameradschaftlicher Ton auch Vorteile haben kann. In der PDV (Polizeidienstvorschrift) 350 sind „korrekte Anrede“ sowie „vernünftige Ansprache“ geregelt: „Der Polizist sollte sich sprachlich auf den Gesprächspartner einstellen, darf dabei aber nicht herablassend oder verletzend werden.“

PHM G. duzte nicht zurück, PHM G. stellte Strafanzeige. Vielleicht hätte der Staatsanwalt Mutlu das Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt, doch der Politiker geriet in den Verdacht, ein Serientäter zu sein: im Falschparken, Duzen und Beleidigen. Denn er war im Oktober 2000 schon einmal mit einem Polizisten aneinander geraten, dieses Mal stand Mutlu mit dem in einer Auffahrt am Abgeordnetenhaus und telefonierte. Mutlu soll dem Beamten den ausgestreckten Mittelfinger gezeigt haben. Der Wachmann stellte Anzeige, zog sie aber wieder zurück. Mutlu: „Nach einer Aussprache haben wir uns die Hände geschüttelt.“

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