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Schon wieder ein Tag vorbei. So schnell geht das mit der Familie, und eh' mal sich versieht, ist man alt.

© Christian Charisius/dpa

Was macht die Familie?: Prägende Jahre für die nächste Generation

Mit Familie vergeht die Zeit wie im Fluge. Plötzlich bist du 50 - und dir wird bewusst, dass deine Zukunft schrumpft. Und man fragt sich: Wie werden sich die Kinder in der Geschichte einrichten?

Irgendwann beginnt die Phase im Leben, in der dir auffällt, dass man nicht mehr ganz von dieser Welt ist. Dann erfährst du, dass Guido Westerwelle tot ist oder Roger Cicero und denkst dabei: Das könnte ich sein. Während du die Tagesschau siehst, hörst du dich Sätze sagen, die früher deine Großeltern gesagt haben. „Ich bin froh, dass ich heute nicht mehr jung bin.“

Sagen wir es positiv: Es ist der Zeitpunkt, an dem du Abstand entwickelst – nicht aus jugendlichem Trotz, sondern aus Reife. Oder sagen wir, wie es ist: Du bist 50 geworden. Ein guter Zeitpunkt, nach den Kindern zu schauen. Ich wende den Kopf: Links sitzt meine zwölfjährige Tochter, die ihren Namen nicht mehr in der Zeitung lesen will (zu peinlich!), versunken im Smartphone-Chat. Und rechts von mir Greta, sie ist neun und schaut mit mir die Nachrichten. Wir sehen die Bilder von verzweifelten Flüchtlingen, ausgebombten Kurden, zerstrittenen Europäern, Fotos von Terroristen, trauernde Demonstranten. Die Welt ist klein und eng geworden. Seit die Grenzen dicht sind, staut sich die Not direkt vor der Tür.

Auch in Europa ist wieder Geschützdonner zu hören

Was werden meine Töchter aus diesen prägenden Jahren mitnehmen? Welches politische Bewusstsein werden sie entwickeln? „Überall ist Krieg. Alle wollen zu uns in Sicherheit“, sagt Greta. Die Kampfzonen dehnen sich aus, auch in Europa ist wieder Geschützdonner zu hören. Wo bleibt der hoffnungsvolle Ausblick in dieser Geschichte, frage ich mich.

Das Gütesiegel der europäischen Wertarbeit von Humanität, Freiheit und Solidarität ist angekratzt, die internationale Nachfrage nach dem Exportgut sinkt. Im europäischen Haus regiert der Kleinmut, der böse Geist des Nationalismus ist zurück. Von welcher Welt können unsere Kinder träumen, so wie wir geträumt haben, als in Berlin die Mauer fiel?

Als ich so alt war wie meine jüngste Tochter heute...

Vielleicht fällt es mit den Jahren schwerer, Hoffnung zu verbreiten. Aber so ein alter Vater bin ich auch wieder nicht. Und zu jung, um schon vergessen zu haben, wie schnell sich die Zeiten und Vorzeichen der Geschichte ändern können. Als ich neun war, 1975, wurde an der deutsch-deutschen Grenze geschossen. Terror drohte in Europa an jeder Ecke: Es gab die Eta, die IRA, die RAF und ein Dutzend anderer militanter Gruppen. In Spanien starb Franco, der Vietcong vertrieb die letzten Amerikaner aus Saigon, und die West-Berliner Bezirke Kreuzberg, Tiergarten und Wedding verhängten ein Zuzugsverbot für Ausländer. Eine fremde Welt. Noch gar nicht lange her. Die Zukunft war damals so offen wie heute.

In 60 Minuten durch die deutsche Geschichte. Führung durch die Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums, sonnabends 13 Uhr in englischer, 14 Uhr in deutscher Sprache, Unter den Linden 2, Mitte, www.dhm.de. Dieser Text erschien in der Kolumnenreihe "Was macht die Familie?", die jeden Mittwoch auf der Seite "Familie in Berlin" im gedruckten Tagesspiegel zu lesen ist.

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