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Berlin: Was tun mit einer geschenkten Million Mark?

Die Probleme werden nicht weiter auf die lange Bank geschoben. Die Idee ist denkbar einfach: Bewohner, Vermieter und Geschäftsinhaber setzen sich an einen Tisch und überlegen, wie ihr Kiez wieder schöner und lebenswerter werden könnte.

Die Probleme werden nicht weiter auf die lange Bank geschoben. Die Idee ist denkbar einfach: Bewohner, Vermieter und Geschäftsinhaber setzen sich an einen Tisch und überlegen, wie ihr Kiez wieder schöner und lebenswerter werden könnte. Das dazu nötige Geld kommt von EU, Bund und Land. Dann werden Fassaden saniert, Spielplätze repariert, Bäume gepflanzt und Parks angelegt. Am Ende ist die Gegend nicht nur attraktiver, sondern durch die enge Zusammenarbeit sind alle Beteiligten ein Stück näher zusammengerückt, die Anonymität ist zurückgedrängt. Quartiersmanagement heißt das Zauberwort. In 15 Problemgebieten, geprägt von hoher Arbeitslosigkeit, vielen Ausländern und Sozialhilfeempfängern, werden seit 1999 damit Erfahrungen gesammelt.

Verbessert werden vor allem die Lebensbedingungen: Mieterhöhungen, Belegungsbindungen und Fehlbelegungsabgaben wurden gestrichen, bauliche Umgestaltungen und Wohnumfeldverbesserungen vorgenommen. Seit dem Start des Projekts fließen jedes Jahr 17,4 Millionen Mark in die ausgewählten 15 Gebiete. In diesem Jahr kam eine zweite Stufe der Bürgerbeteiligung hinzu. Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) richtete zusätzlich einen Quartiersfonds ein. Jeder Kiez hat eine Million Mark für unbürokratische Maßnahmen und Projekte erhalten. Was damit gemacht wird und welches Projekt gefördert wird, darüber entscheidet eine Anwohnerjury, die nach Zufallsprinzip aus dem Melderegister zusammengestellt wurde. Bis spätestens Ende Oktober mussten Vorschläge eingereicht werden. In vielen Gebieten waren die Anwohner sehr schnell mit Ideen zur Hand. Besonders im Ostteil wussten die Bewohner genau, was sie wollten. Spielplätze und Parkanlagen mussten werden. Vielfach wurden damit Vorhaben finanziert, die zuvor an den Sparmaßnahmen des Senats scheiterten. Auch die Bewohner der Kreuzberger Quartiere hatten zahlreiche Vorschläge, wie ihr Kiez schöner werden könnte. Am geringsten war die Resonanz dagegen im Kiez an der Moabiter Beusselstraße. Während in anderen Gebieten jeweils rund 80 Vorschläge eingingen, waren es hier gerade einmal 24 - ein Indikator für die geringen Erfolge des Quartiersmanagements. Der Bereich befindet sich offenbar weiter in einer Abwärtsspirale. Die Mehrzahl der engagierten Anwohner sei inzwischen aus dem Beussel-Kiez weggezogen, heißt es dazu erklärend im Vor-Ort-Büro der zuständigen S.T.E.R.N.-GmbH. Die Bilanz der Stadtentwicklungsverwaltung ist insgesamt dennoch positiv. Der Quartiersfonds werde von den Anwohnern angenommen, viele hätten sich persönlich eingebracht, um nach guten Ideen für den Kiez zu suchen und umzusetzen.

Mitte: Geld für deutsch-arabische Kita

Der Bezirk Mitte hat drei Quartiersmanagementbereiche. Zwei davon - die Kieze um den Sparrplatz und die Soldiner Straße - liegen im ehemaligen Bezirk Wedding, eins - das Gebiet um die Beusselstraße - im Bezirk Tiergarten. In allen drei Gebieten ist die Zahl der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger überdurchschnittlich hoch. Wegen der zahlreichen Konflikte zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen fühlen sich viele Anwohner nicht mehr sicher und ziehen weg. Vor allem die einkommensstärkeren Familien verlassen die Gegend. In die freiwerdenden Wohnungen ziehen Menschen, die sehr wenig verdienen oder von Sozialhilfe leben. Viele kleinere Geschäfte mussten Konkurs anmelden.

Höchste Priorität haben in Mitte jene Projekte, die die nichtdeutschen Anwohner integrieren und bestehende Konflikte schlichten sollen. So wurden mit Mitteln aus dem Quartiersfonds die Möbel für eine deutsch-arabische Kita gekauft - dem Bezirk Tiergarten waren zwischenzeitlich die Mittel ausgegangen. Außerdem soll an der Richard-Schröter-Grundschule eine Montessori-Klasse eingerichtet werden. Die Jury hofft, dass dann wieder mehr deutsche Kinder die Grundschule besuchen. An der Schwartzkopff-Oberschule in Wedding werden außerdem Streitschlichterkurse angeboten und eine Schülerredaktion eingerichtet. Auch sind zwei Anlaufpunkte für Menschen mit Suchtproblemen geplant.

Schöneberg: Für Jugendliche 16 Computer-Plätze

Der "Sozialpalast" in der Pallasstraße ist das Herz des Quartiers Bülowstraße. Die mit dem Gebäude verbundenen Probleme sind beispielhaft für den Kiez: viele Sozialhilfeempfänger und Ausländer leben hier. Die Kriminalität ist hoch. Prostitution und Drogenhandel prägen auf der Kurfürstenstraße den Alltag. Viele der umliegenden Geschäfte wurden in den vergangenen Jahren mindestens einmal überfallen. Nicht wenige haben inzwischen aufgegeben. Verwahrlosung, Müll und Graffiti verunstalten das Straßenbild. Die Nachbarschaften sind gestört. Aus Angst kapseln sich viele Menschen, darunter vor allem die Älteren, ab. Sowohl der Magdeburger Platz als auch die Kurfürstenstraße wurden von der Polizei als gefährliche Orte eingestuft.

In den beiden Schöneberger Problemzonen wurden vor allem Projekte bewilligt, bei denen die Jugendlichen im Mittelpunkt stehen. So wurden mit dem Geld aus dem Quartiersfonds einige Spielplätze repariert. Außerdem wurde ein Ferienprogramm für die Kinder finanziert, die in den Sommerferien nicht verreisen konnten. Mit Sport und Spielen sollten die Kids dort Teamgeist und den Umgang mit Konfliktsituationen und Gewalt lernen. In einem neu eingerichteten Medienzentrum mit 16 PC-Arbeitsplätzen sollen die Jugendlichen mit den für die spätere Jobsuche so wichtigen Computerkenntnissen ausgestattet werden. Aber auch Rentner sind eingeladen, das neue Medienzentrum zu nutzen.

Köpenick: Internet-Café für die Kiezbewohner

Im Köpenicker Stadtteil Oberschöneweide verloren im ersten Jahr nach dem Mauerfall rund 20 000 Menschen ihre Arbeit. Mit dem Bankrott des Kabelwerkes Oberspree beispielsweise, sank auch die Kaufkraft im Gebiet rapide. Die Folge: viele der umliegenden Gewerbetreibenden mussten Konkurs anmelden. Seither leben überdurchschnittlich viele Menschen im Gebiet von Sozialhilfe. Zahlreiche junge Familien kehrten der Gegend den Rücken.

Rund vier Millionen Mark hätte die Jury benötigt, um alle 50 bislang beantragten Projekten zu verwirklichen. Ein Internetcafé mit zehn Computern ist die bislang teuerste von der Jury bewilligte Idee. Rund 135 000 Mark stehen dafür zur Verfügung. Das Café soll am Anfang des nächsten Jahres eröffnen und den Anwohnern nicht nur kostenloses Surfen im Internet, sondern auch kostenlose Lehrgänge zum Umgang mit dem Web bieten. Später soll sich das Café durch professionelle Multimedia-Workshops selbst tragen. Außerdem wurde für 7500 Mark aus dem Fonds eine Kinderkarate-Gruppe eingerichtet. Die Aufwertung einer Parkanlage im Gebiet soll in der nächsten Sitzung der Jury beschlossen werden.

Prenzlauer Berg: Ein Jugendcafé am Falkplatz

In den beiden Quartieren im Bezirk Prenzlauer Berg, am Falkplatz und rund um den Helmholtzplatz, ist das für den Bezirk typische Problem besonders ausgeprägt: Viele Familien ziehen weg. Zum einen, weil die Mieten in den sanierten Häusern zu hoch sind, zum anderen wegen des Mangels an Grünflächen und ausreichend großen Wohnungen in den dicht bebauten Gründerzeitquartieren. Aufwertung und Verfall finden hier gleichzeitig statt und liegen räumlich dicht beieinander. Während die Häuser teilweise luxussaniert werden, entsprechen die meisten Schulen und einige Spielplätze den heutigen Standards noch lange nicht. Der Helmholtzplatz als einzige große Grünfläche nördlich der Danziger Straße hat sich zudem im Lauf der vergangenen Jahre zum Treffpunkt von Alkoholikern und Drogendealern entwickelt und wurde von der Polizei als "gefährlicher Ort" eingestuft.

Die meisten von den Jurys bewilligten Projekte richten sich an die Kinder und Jugendlichen. So werden mit Fonds-Mitteln Spielplätze, Kindertagesstätten und Schulen aufgewertet. Dafür fehlt der Stadt schon seit Jahren das Geld. Außerdem sollen den Jugendlichen attraktive Freizeitangebote gemacht werden. So wurde am Falkplatz im September ein von Jugendlichen verwaltetes und betriebenes Café eröffnet. Für 13 000 Mark haben die Quartiersmanager in den Sommerferien außerdem einen Mittelalter-Markt auf dem Kinderbauernhof im nahegelegenen Mauerpark organisiert. Auch reisten in den Sommerferien knapp 20 Jugendliche in ein Feriencamp und machten dort Metallbaukurse. Das kostete rund 9000 Mark und soll sich beim Bau des geplanten Jugendhauses auszahlen. Bewilligt wurden außerdem ein Kinder- und Theaterprojekt.

Kreuzberg: Toiletten in der Schule renoviert

Der ehemalige Postzustellbereich SO 36 gilt als das Armenhaus Berlins. Rund 30 Prozent der Menschen, die rund um das Kottbusser Tor wohnen, sind arbeitslos, fast jeder Zweite ist Ausländer. Der U-Bahnhof Kottbusser Tor gilt seit Jahren als Treffpunkt der Berliner Drogenszene. Müll, Dreck und Vandalismus bestimmen das Bild. Viele bessergestellte Bewohner ziehen aus Angst vor drohender sozialer Deklassierung weg.

Mit ganz anderen Problemen kämpft dagegen das Quartier rund um den Boxhagener Platz auf der anderen Seite des neu vereinten Bezirkes. Viele der kleinen Geschäfte rund um den Platz mussten in den vergangegen Jahren schließen. Jeder dritte Bewohner ist weggezogen. In den Häusern rund um den Platz warten frisch sanierte Wohnungen auf zahlungskräftige Bewohner.

Förderungsschwerpunkt in den Quartieren Wrangelkiez und Wassertorplatz ist die Kinder- und Jugendarbeit. So wurde beispielsweise ein Theaterprojekt und eine Gesprächsrunde mit Jugendlichen über Gewalt realisiert oder die Sanierung der Mädchentoilette in einer Grundschule finanziert. Ein Video-Beamer im Schaufenster einer Kita macht außerdem Werbung für Veranstaltungen oder Geschäfte im Kiez und soll diesen erstens attraktiver machen und zweitens die Wirtschaft ankurbeln.

Auf dem Boxhagener Platz ist ein Pavillon-Café geplant, das nicht nur den Platz attraktiver machen soll, sondern auch Bestandteil einer Orientierungsmaßnahme für drogen- und suchtgefährdete Jugendliche wird. Außerdem gibt es Geld für eine Werbekampagne des Wochenmarkts, der seit 100 Jahren auf dem Boxhagener Platz stattfindet. Der Platz soll durch zusätzliche Bäume verschönert werden.

Marzahn: Ateliers in leerstehenden Wohnungen

Das Quartier Marzahn Nord ist sehr jung. Das gilt nicht nur für die Häuser, die im Wesentlichen im Jahr 1989 fertiggestellt wurden, sondern auch für die Bevölkerung. 40 Prozent aller Einwohner sind jünger als 25 Jahre. Die Zahl und Qualität der Freizeitangebote und Ausbildungsplätze wird den vielen Jugendlichen im Gebiet jedoch nicht gerecht. Die Fluktuation ist hoch. Seit 1992 ist ein Viertel der Bewohner weggezogen. Weil gleichzeitig die Geburten zurückgingen, mussten viele Kitas und Grundschulen schließen. Ganze Standorte liegen inzwischen brach. Der Einwohnerverlust und dessen Folgen wäre noch drastischer ausgefallen, wäre Marzahn Nord nicht in den 90er Jahren Wohnort für zahlreiche Aussiedler geworden. Schätzungen zufolge leben bis zu 6000 Russlanddeutsche in Marzahn Nord.

Auch in Marzahn Nord stehen die Jugendlichen im Mittelpunkt der finanziellen Förderung. Als erstes wurde eine 50 Meter lange Graffiti-Wand realisiert. Seitdem sei das Beschmieren von Häuserwänden im Bezirk merklich zurückgegangen, sagt Quartiersmanagerin Elke Swoboda. Ein Internetcafé mit zwölf PC-Arbeitsplätzen soll im November eröffnen. Außerdem soll das Jugendzentrum "Kaskade" ein Basketballfeld bekommen. Mit Hilfe des Projekts "Angeeckt" soll der Wohnungsleerstand in den Plattenbauten verringert und den Jugendlichen eine attraktive Freizeitgestaltung offeriert werden. In fünf übereinanderliegenden, leerstehenden Wohnungen wurden Ateliers eingerichtet, in denen nachmittags Workshops angeboten werden. Ein weiterer Förderungsschwerpunkt ist die Intergration der Spätaussiedler. So wollen Schriftsteller aus der ehemaligen Sowjetunion demnächst eine Broschüre herausbringen.

Neukölln: Deutschkurse und Hiphop-Workshops

In den drei Neuköllner Quartieren bündeln sich die Probleme: Überdurchschnittlich viele Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger leben hier, darunter viele Kinder und Ausländer. Sowohl im Gebiet um die Schillerpromenade westlich der Hermannstraße, als auch in der östlich davon gelegenen Rollberg-Siedlung und in der High-Deck-Siedlung an der Sonnenallee leben rund 30 Nationalitäten auf engem Raum zusammen. Für die Jugendlichen, die in den Großsiedlungen rund ein Viertel der Bewohner ausmachen, gibt es zu wenig allgemein akzeptierte Betätigungsfelder. Vandalismus, Kriminalität und Streit zwischen den Bewohnern dominieren den Alltag. Dazu kommt eine hohe Fluktuation: Fast die Hälfte der Einwohner ist erst in den vergangenen zehn Jahren in die Gebiete gezogen.

Aus dem Quartiersfonds wird in Neukölln vor allem die Verschönerung von Spielplätzen, Schulen und Kitas bezahlt. Auch Freizeitangebote für Kinder- und Jugendliche wie Hiphop-Workshops, Zauber- und Bastelkurse werden finanziert. In der High-Deck-Siedlung wurde außerdem ein Computercafé eingerichtet. Auch soll die Integration der nichtdeutschen Anwohner verbessert werden. In allen Quartieren werden Deutschkurse für ausländische Erwachsene finanziert. In der Schillerpromenade ist außerdem ein Sprachunterricht für Kinder ab drei Jahre geplant. Weiterhin soll die Arbeitslosigkeit mit Hilfe des Quartiersmanagements bekämpft werden. So verspricht sich die Jury in der High-Deck-Siedlung zusätzliche Beschäftigung durch die Betreuung und Beratung von Existenzgründern.

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