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Bissige Nachbarn. Damit vom Nachbargrundstück der Zeltstadt niemand in die Ruine der Eisfabrik einsteigt und dort eine Favela gründet, hat der Eigentümer einen neuen Zaun errichtet.

© Doris Spiekermann-Klaas

Was wird aus der Siedlung der Stadtindianer?: Stress im Abenteuerland

Bewohner des Teepee-Dorfes an der alten Eisfabrik schlagen Alarm: Bei der Einzäunung des Nachbargrundstückes wurden Zelte beschädigt.

Die Rückkehr der Abenteuerstadt zur Normalo-Kommune beginnt am Tag eins des Berliner Olympia-Katers eher unspektakulär. Früh um sieben alarmieren Bewohner des Teepee-Zeltdorfes am Spreeufer neben der alten Eisfabrik in Mitte die Medien: Ihre Siedlung aus Wigwams und Hütten werde geräumt!

Als Reporter eintreffen, stehen zehn Polizisten am Rand des Nachbargrundstücks locker in der Sonne. In einem Topf am Dorfeingang kochen zwei Männer Frühstückskartoffeln, ein anderer trommelt. Warum die Aufregung? Aha: Bauarbeiter drillen Löcher für Pfeiler ins Erdreich, umgittern mit mannshohen Eisenmatten die noch unumzäunten Teile des 8800-Quadratmeter-Geländes, das der Immobilienfirma TLG gehört. Das Areal wird von dem öffentlichen Hippiedorf-Terrain, der Eisfabrik und, zur Köpenicker Straße hin, von einem alten Wohnblock umschlossen.

Vier Camping-Fragmente, in denen sich aktuell keiner aufhält, stehen auf TLG-Fläche: ein Wigwam wird abgerissen, einer ans Gitter gequetscht, ein weißblaues Klohaus per Zaun abgetrennt. Um das vierte, ein weiteres Wohnzelt, machen die Grenzzieher einen Bogen, geben zuungunsten des Eigentümers ein paar Quadratmeter preis. „Mit Teepee-Leuten hatten wir nie Probleme,“ sagt ein Beamter. „Da geht es um eine verträgliche Lösung, um Sicherung des Geländes: dass keine Favela nach nebenan rüberwächst.“

Ganz so cool reagieren die Bewohner selbst nicht auf die Morgenereignisse. Zwölf leben hier zur Zeit; im Sommer, wenn an der Spree Comedy-Feste stattfinden, könnten es wieder an die hundert werden. Die meisten Teepee-Siedler haben einen Job, keiner kassiere Hartz IV, sagt ein Kapuzenjüngling, der sich mit seinem ganz lieben Pitbull auf einem verblichenen gelben Ledersofa räkelt. Heute früh seien sie im Schlaf überrascht worden, hätten gleich ihren Sprecher, Fernando, angerufen. Nicht legal sei, was die TLG gerade unter Aufsicht ihres Justiziars auf dem ehemaligen Grenzstreifen mache: Der sei denkmalgeschützt, ein Zaun dürfe deshalb nicht in den Boden getrieben werden. „Na ja, die zahlen die Strafe aus der Portokasse,“ sagt die Kapuze.

Am anderen Dorfende, bei den zwei Kommunen-Chefs Fernando und Flieger, geht es etwas hektischer zu. Ein TV-Team dreht, Journalisten rufen an. Beide leben seit drei Jahren hier, betonen die Gemeinnützigkeit ihres Kollektivs. Fernando spricht holprig Deutsch, der Ostfriese Flieger könnte mit Wallemähne und einem Eberhauer an der Brustkette für jeden Hells-Angels-Film als Kuschel-Rocker durchgehen. Man habe Denkmalschützer auf den einzigartigen Bootsbunker der DDR-Grenztruppen nebenan aufmerksam gemacht! Man habe verhindert, dass die von der im September 2014 geräumten Cuvry-Brache vertriebenen Roma sich auf dem TLG-Gelände angesiedelt hätten! Man verstehe sich bestens mit den gut situierten Nachbarn in den Neubauten nebenan. Man habe der TLG oft Gespräche angeboten, der Bezirk wollte doch ein paar Meter Land ans Teepee-Land dazukaufen – und nun dieses: Zeltzerstörung ohne schriftliche Ankündigung. „Das gibt ’ne Anzeige wegen Sachbeschädigung.“ Wenn die Bewohner, irgendwann, zurückkämen, seien sie obdachlos. „Natürlich wollen wir bleiben. Wir sind eine Bereicherung für die Gesellschaft. Wir machen alles mit, sind offen für alles.“

Gegen solch routinierte Selbstdarstellung wirkt das TLG-Team vor Ort eher wortkarg, verweist auf seinen Pressesprecher Christoph Wilhelm. Der wiederum berichtet von einer historischen, mündlichen Vereinbarung seiner Firma mit einem Teepee-Häuptling: Damals sei den Stadtindianern gestattet worden, punktuell auf TLG-Terrain auszuweichen – nicht dauerhaft, bei Bedarf müssten sie abbauen. Vielleicht gebe es diesen Häuptling nicht mehr? Seit einem Jahr habe man den Grenzzaun avisiert! „Wie sollte das schriftlich passieren, soll ich an meine eigene Immobilie adressieren?“ Die eingezäunten Zeltbestandteile würden verwahrt und zurückgegeben. Für die Immobilie  prüfe man nun diverse Optionen, von der Entwicklung bis zum Verkauf.

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