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Berlin: Was zählt, ist die Erinnerung

Sie ließ nie Privates ahnen. Ihr großes Herz zeigte sie nur, wenn es darum ging, anderen zu helfen. Nun ist Irina Pabst tot. Die Grande Dame der Aids-Hilfe hat sich das Leben genommen

Am Freitag bleibt ihr Premierenstammplatz im Wintergarten-Varieté frei. Irina Pabst lebt nicht mehr. Am vergangenen Sonnabend wurde die Initiatorin der Aids-Gala tot in ihrer Dahlemer Villa aufgefunden. Wie man inzwischen weiß, hat sie Selbstmord begangen. Eine Freundin, die sich Sorgen machte und den Schlüssel zur Pabstschen Villa besaß, fand sie im Badezimmer. Irina Pabst hinterließ einen Brief an ihre Rechtsanwältin Lore-Maria Peschel-Gutzeit, mit der Aufschrift: Testament. Ein Verbrechen ist laut Polizei auszuschließen – erst die Freundin löste beim Betreten des Hauses Alarm aus.

Alles andere hinterlässt Rätsel. Die aristokratische Grande Dame der Berliner Aids- Hilfe, der sie mit der alljährlichen Aids-Gala – einer der gesellschaftlichen Höhepunkte Deutschlands – mit Millionen unter die Arme griff, ließ nie Privates ahnen. Ihr großes Herz, für das sie unter anderen mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde, zeigte sie nur, wenn es darum ging, etwas zu bewegen, jemandem zu helfen.

„Ihren“ Aidskranken zum Beispiel, die sie im Auguste-Viktoria-Krankenhaus oder daheim besuchte, denen sie Trost und Liebe spendete und auch mal eines der deftigen Gerichte aus ihrer Küche. Die schätzten einst auch Remarque, Boy Gobert, der Cellist Mstislaw Rostropowitsch oder der Schauspieler Bernhard Wicki.

Das war damals, als Irina Pabst noch eine glücklich verheiratete und sehr verliebte Ehefrau war. 1955 hatte sie Pierre Pabst – später Chef des Zentrallektorats im Springer-Verlag – kennen gelernt und drei Wochen später geheiratet. „Meine erste, einzige und letzte Liebe“, nannte sie den 1976 verstorbenen besten Freund Axel Springers. Für ihre große Liebe und das Glück in der Ehe gab sie ihre eigene Karriere auf. Nach dem Abitur hatte Irina Pabst zunächst Sprachen an der Humboldt-Universität studiert und die Schauspielschule besucht. Ihr erstes Engagement fand sie am Schlosspark-Theater – dann aber schon Pierre Pabst.

Und immer glaubte sie an ein Wiedersehen nach dem Tod – nicht nur mit ihrem Mann. An den Gräbern ihrer Lieben hielt sie oft mit ihnen Zwiesprache. Und rettete nebenbei auch schon mal „hungrige Engel“: So nannte Irina Pabst vor vier Jahren die 15 Moskauer Sängerknaben, die ihr auf dem russisch-orthodoxen Friedhof geradewegs in die Arme gelaufen waren. Diesen „zauberhaften, wohlerzogenen Kindern“ war gerade ein Auftritt in Dresden geplatzt. Aus dem Stegreif organisierte Irina Pabst ein Konzert und Essen für die „Angel Singers“, die ihre „russische Seele“ bewegt hatten. „Die russische Seele hat eine so titanische Kraft, um jede Handlung auszuschöpfen bis an die äußersten Grenzen“, sagte sie vor vier Jahren im Tagesspiegel. Dabei war die immer elegante und sorgfältig bis heftig geschminkte noble Dame eigentlich eine gebürtige Berlinerin, wenn auch keine waschechte.

Aus Sibirien war einst ihr Vater, der weißgardistische Oberst Franz von Udinzeff, zu Fuß vor den Kommunisten nach Berlin geflohen. Wann genau Irina Pabst hier das Licht der Welt erblickte, hat sie dabei nie verraten – eine kleine Eitelkeit, die sie sich zeitlebens gestattet hat.

Ob sie ihr Alter einem ihrer persönlichen Freunde, zu denen in Berlin neben Friede Springer auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und der Countertenor Jochen Kowalski zählten, je verriet, muss offen bleiben. Eine Agentur wollte gestern wissen, dass Irina Pabst 76 Jahre wurde. Aber wirklich wichtig ist das nicht.

Was zählt, ist die Erinnerung. Daran zum Beispiel, wie sie bei jedem gesellschaftlichen Anlass auf einen zukam, einen umarmte und begrüßte: „Liebes, wir müssen uns unbedingt sehen, rufen Sie mich an.“ Jedem gab sie das Gefühl, wichtig zu sein, gebraucht zu werden, auch ihr etwas zu bedeuten. Wärme senkte sie so in Herzen, die vielleicht gerade mutlos oder gestresst waren.

Ihr plötzlicher Abschied von der Bühne des Lebens hinterlässt nun Fragen, wohl auch Geheimnisse. Aus einem aber hat sie nie ein Geheimnis gemacht. „Jede Freundschaft ist ein Geschenk“, äußerte sie sich 2000 im Tagesspiegel. Aber dieses Geschenk verlange auch Opfer. „Das ist mein Wunsch an meine Freunde“, sagte sie damals, „dass sie mich überleben.“

Heidemarie Mazuhn

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