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In Wanderstiefeln Panke-aufwärts.

© Ehrmann

Wedding: Versuch einer Flusswanderung: Immer die Panke hoch

Entlang der Panke soll es sehr schön sein und sehr grün, so hatte man es dem Reporter erzählt. Also zog er sich die Wanderstiefel an und lief los, ein bisschen Ruhe suchend. Gefunden? Naja.

Es war oben am S-Bahnhof, als die Stadt dem Wanderer noch einmal ihr Gesicht zuwandte. Sie trug eine Trainingsjacke der brasilianischen Selecao, die Stadt, sie hatte zwei Kumpels dabei und schleuderte dem Wanderer einen Satz entgegen, ziemlich wütend und atemlos, sodass es mehr wie ein einzelnes Wort klang: Morukwarumbrauchendiesolangeichfickedieja.

Bevor sich der Wanderer auch nur den Ansatz einer geistreichen Antwort überlegen konnte (er wusste ja leider auch nicht, warum!), waren die drei Halbstarken schon um die nächste Ecke verschwunden. Besser so. Nicht ablenken lassen.

Es galt ja einen Plan zu verfolgen. Der Plan, das war an diesem durchaus schönen Montagmittag, 20 Grad und ein paar weiße Wolken: mal hinaus ins Grüne zu fahren, beziehungsweise: hinein, denn das Grüne lag in diesem Fall mitten in Berlin - entlang des kleinen Flüsschens Panke, das sich quer durch den Berliner Ortsteil Gesundbrunnen schlängelt. Von der Mündung unten an der Müllerstraße sollte die Wanderung gehen bis hinauf zur Bezirksgrenze am S-Bahnhof Wollankstraße, wo Pankows grüner Bürgerpark beginnt. Der Wanderer, der eigentlich nur ein Reporter in Wanderstiefeln war, hatte gehört, dass es sich Panke-aufwärts ganz vorzüglich ausschreiten ließe. Perfekte Voraussetzung, um die Stadt und all ihre Lautheiten gleich zu Wochenbeginn mal hinter sich zu lassen. Gute vier Kilometer, immer am Ufer entlang.

Auf, auf!

Los ging es mit einem Rauschen. Ein gnädiges Rauschen, das den Lärm der kaum 50 Meter entfernten Hauptstraße komplett übertönte. Hallo, liebe Panke! Hallo, kleiner Wasserfall! Enchanté.

Pankebrücke nahe der Badstraße.
Pankebrücke nahe der Badstraße.

© Ehrmann

Ein knorriges Holzschild wies den Weg: Walter-Nicklitz-Promenade. Vogelzwitschern. Blätterflattern. Es war ziemlich schnell ziemlich schön. Der Wanderer schritt durchs Grün, die Stiefel saßen gut, es waren gute Wanderstiefel, und ihr Träger war kurz davor, aus lauter guter Laune die hageren Menschen zu grüßen mit ihren Basecaps und Discounter-Turnschuhen, die auf ihren Mountainbikes hin und wieder vorbeigeradelt kamen.

Dann kam schon die Gerichtstraße, der 247er-Bus brummte vorbei, kleines Zugeständnis an die Stadt, in deren Mitte der Wanderer sich ja immer noch befand, dann kamen die Schlote und alten Backsteinfabriken, hinter denen laut die Bagger röhrten. Der Wanderer unterquerte die S-Bahn-Brücke. Weiter, immer weiter, dachte er sich, der Idylle entgegen, hinauf nach Pankow, ins Familienparadies, die Panke fest im Blick, auf der tatsächlich ein paar Entlein paddelten.

Der Wanderer überquerte die große Pankstraße, er kam an fünfgeschossigen 60er-Jahre-Bauten vorbei, gemütliche Bröckelklötzlein mit Deutschlandfähnchen vorm Balkon, denn am Abend spielte die Fußball-Nationalmannschaft bei der WM in Brasilien gegen Algerien. Dem Wanderer begegnete ein bärtiger junger Mann, eine halbvolle Becks-Flasche in der Hand. Montag, halb eins in Deutschland: Prost!

Das alles zog einigermaßen friedlich am Wanderer vorbei, die Uferstraße mit ihrer Bohemien-Ecke, Dujardin, Uferlos, Kippenkiosk, das mächtige Amtsgericht mit seiner grünen Wiese – doch dann war es plötzlich vorbei mit der Ruhe.

Der Wanderer sah einen Typ im grünen Deutschland-Trikot, schwarzes Basecap auf dem Kopf, Sportsonnenbrille vor den Augen, den rechten Arm komplett in den Deutschlandfarben bandagiert, bis hinauf zum Bizeps - das musste das größte Schweißband der Welt sein. Schwarz-Rot-Proll.

„Drei gewonnen und zwei verloren gegen Algerien“, brüllte der Typ, der neben einem Fahrrad auch noch einen großen braunen Hund mit sich führte, „drei zwei, wenn man Ost- und West-Deutschland zusammennimmt!“ Adressat waren zwei Mütter mit Kopftuch, die mit ihren Kindern gerade an ihm vorbeigekommen waren. „Wenn man die Statistik schon nimmt, dann sollte man sie auch genau kennen!“, brüllte der Deutschlandmensch. Und: „Schöne Heimreise!“

Eines der Kinder, ein vielleicht sechsjähriger Junge, brüllte zurück: „Die Deutschen soll'n nach Hause fahren, die Deutschen soll'n nach Hause fahren! Die Deutschen…“ Was dann schon wieder ziemlich witzig hätte sein können, wäre nicht alles eigentlich so traurig und schlimm gewesen.

Der Wanderer merkte, wie er unwillkürlich den Schritt beschleunigt hatte, der Badstraße entgegen, hinter ihm hatte sich die Szenerie so schnell beruhigt wie sie laut geworden war, keiner brüllte mehr, der Wanderer schüttelte den Kopf, er wollte doch, an diesem schönen Montagmittag, einfach nur ein bisschen gehen, ganz alleine, und nicht dauernd alles verhandeln müssen, die Menschen, ihre Herkunft und das schlimme Schland, in dem sie wohnten.

Doch die Idylle hatte es schwer, nicht nur im Kopf des Wanderers, der noch lange von den Brüllereien des Event-Faschos widerhallte.

Stunde der Irren

Zwei Jungen ließen am Ufer die Beine baumeln, hinter ihnen im Gras ein umgekippter Einkaufswagen. Eine Szene wie direkt aus Herrndorfs „Tschick“ oder aus „Huckleberry Finn“. Schön, dachte der Wanderer, die Jugend, und er merkte, dass er nicht mehr jung war, was er aber in diesem Moment ziemlich okay fand.

Hinter der Osloer Straße dann sah der Wanderer in schneller Folge: noch einen Biertrinker mit Hipsterbart und zwei Plastiktüten; eine Frau mit schweren Tränensäcken, die unablässig „Scheiße, Scheiße, Scheiße“ vor sich herflüsterte; einen Mann mit Handy am Ohr und Kleiderbügel unterm Arm. Montag, halb zwei, Stunde der Irren an der Panke.

Jenseits der Soldiner wurde es dann noch mal richtig schön. Das Flüsslein schimmerte im Sonnenlicht, grüne Ufer mit plattem ungeschnittenem Gras. Hier lagen vor kurzem Menschen, dachte der Wanderer, friedliche Menschen und sie haben einfach die Ruhe genossen, das Grün, das Wasser, ja, so muss es gewesen sein.

Und dann saß der Wanderer am Franzosenbecken, das leer war, ganz ohne Wasser, bestanden nur mit Schilf und Gras und ein paar Büschen. Hier saß er mit den Rentnern, die ihre Butterbrote aus den Seitentaschen ihrer Fahrräder aßen und dem Wind zuhörten und sich die Fähnchen anschauten, die drüben über den Lauben flatterten. Und die Wölkchen dahinter schauten zurück.

Beim Weiterlaufen begegneten dem Wanderer drei Menschen, Omi, Mutti, Kind, die Mutti trug die Schultasche auf einer Schulter und sie trug am Handgelenk ein schwarz-rot-goldenes Schweißband, das war ziemlich klein und sah nicht weiter bedrohlich aus. Und das Kind strahlte und erzählte von der Schule.

Und dann stand der Wanderer tatsächlich in Pankow, die Flussufer waren hier oben breiter und auch der Horizont schien es zu sein, da drüben begann schon der Bürgerpark, der Wanderer war glücklich und freute sich über die Stille und darüber, dass er geschafft hatte, was er sich vorgenommen hatte. Er war gewandert und gewandert und er hatte die Idylle gefunden.

Da donnerte etwas quer durch den Himmel, der Wanderer blickte auf und sah ein Flugzeug, riesiggroß, das Fahrwerk schon ausgefahren, und das erinnerte den Wanderer daran, wo er war: mitten in Berlin, dieser Stadt, in der alle Menschen so laut durchs Leben der anderen brettern, wie sie nur können, weil man das hier eben so macht.

Und am Abend dann gewann die deutsche Mannschaft knapp gegen Algerien. Aber so recht freuen konnte sich der Wanderer darüber nicht.

Dieser Artikel erscheint im Wedding-Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegel.

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