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Tanz auf dem Vulkan: Figurendetail am Brunnen auf dem Nettelbeckplatz (Berlin-Wedding)

© Sulamith Sallmann / www.sulamith-sallmann.de

Weddinger Orte (1): Nettelbeckplatz: Unter dem Vulkan

Viel gibt es hier, nur keinen Plan: Der Nettelbeckplatz im südlichen Wedding lebt von seiner Zerrissenheit. Und gerade deshalb sollte man mal da gewesen sein. Teil 1 unserer neuen Serie "Weddinger Orte".

Schickt sie als allererstes hierhin, die Besucher, die Touris, und wenn sie dann noch wollen und können, dann dürfen sie sich gerne den Rest der Stadt anschauen.

Oder vielleicht doch lieber nicht.

Weil der Nettelbeckplatz, dieses große graue Nichts, eben gerade nicht vom Dasein, sondern von der Abwesenheit vieler Dinge lebt. Ohnehin schwierig mit der Existenz hier oben, zehn Minuten nördlich der Friedrichstraße.

Was fehlt ist schon mal ein Plan. Hatten sie hier noch nie.

Dafür jede Menge Fantasie. An der Ecke Reinickendorfer steht einer der bizarrsten Neubauten der Stadt, halb Wäscheständer, halb Bunker, dann gibt es noch ein paar Altbauten und die S-Bahn-Trasse. Im „Dubrovnik“ wird gerade groß umgebaut, es gibt die Kegler-Klause, den türkischen Bäcker, je zwei Spätis und zwei Dönerbuden direkt nebeneinander. Und jetzt hat 100 Meter die Straße runter auch noch das Wedding Grillhaus aufgemacht.

Läuft.

Blick ins Weddinger Nichts

Dienstags ist Wochenmarkt, da gibt es knallbunte Plastikhandtaschen zum kleinen Preis, der den meisten aber trotzdem zu groß ist. Traurig stehen die paar Wagen auf dem viel zu großen Platz, daneben hockt ein Typ auf der Bank, verschwollene Augen, Pflaster am Kinn, Blick ins Weddinger Nichts.

Volksfest ist hier eh jeden Tag.

Da kreisen sie umeinander, die Hageren und Dicken, die Gehetzten und die Watschler, die Assis, die Druffis, die Rumänen und längst auch die Holzfäller-Spargel der Spiegelreflex-Avantgarde, die noch mal ganz andere Schnurrbärte tragen als die alten Türken, die sich im Vorbeigehen ein respektvolles "Merhaba" zuraunen.

Beide Gruppen und noch ein paar mehr findest du im Simit-Café, gegenüber vom alten Krematorium, wo ein Plätzchen 20 Cent kostet, der Tee einen Euro und neben der BZ auch die Süddeutsche ausliegt. Es gibt sie natürlich doch auch hier, die Orte, wo es sich aushalten lässt.

Vielleicht noch ein paar mehr als früher.

Tanz auf dem Vulkan

Denn bis in die 80er war das hier ein normaler Kreisverkehr, so wie heute noch der Moritzplatz, stinkender Korso um eine verlotterte Grünfläche, auf der, wie man hört, die Jungs der Gegend auch den einen oder anderen Einzelkampf austrugen, Faust auf Faust, und der Ringrichter hatte meist frei.

Dann wurde der Verkehr beruhigt, die Fahrbahn zugepflastert, die Gerichtstraße geteilt, und schließlich haben sie auch noch einen Brunnen mittendrauf gesetzt, er hat den einzig denkbaren Namen: „Tanz auf dem Vulkan“.

Ganz so schlimm ist es heute ja doch nicht mehr, die Gangs machen jetzt was anderes, Familie oder was, und in den Magendoktor gehen mittlerweile auch Studenten.

Seltsam ist jedenfalls: Wer nicht gleich beim ersten Mal abgehauen ist, der kommt dann doch immer wieder. Als hätten sie in den Brunnenmännchen ein paar Magneten verbaut. Aber wenn man drüber nachdenkt, passt es ja dann doch. Es ist hier eben alles so richtig schön hässlich.

So hässlich, dass es schon wieder stimmt.

Wie gesagt, du musst ihn gesehen haben, den Nettelbeckplatz, wenn du irgendwas verstehen willst über diese Stadt. Nur wer will das schon?

Foto mit freundlicher Genehmigung von Sulamith Sallmann.

Dieser Artikel erscheint im Wedding-Blog des Tagesspiegels.

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