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Berlin: Wegsperren ist politisch unerwünscht

In Berlin gibt es keine geschlossenen Heime für minderjährige Straftäter. Nun wird neu diskutiert

Der erste Raub mit neun, die erste Körperverletzung mit zehn Jahren. So oder so ähnlich beginnen die kriminellen Karrieren jener Heranwachsenden, die von Polizei und Staatsanwälten nach einer Vielzahl von Vergehen als „Intensivtäter“ bezeichnet werden. Jugendliche oder junge Erwachsene kommen in diese Kategorie, wenn sie innerhalb eines Jahres mindestens zehn Mal straffällig werden oder durch besondere körperliche Rohheitsdelikte wie Körperverletzung oder durch Raubtaten auffallen. Grenzen lernen diese Kinder oft erst mit 14 Jahren kennen, wenn sie erstmals vor dem Jugendrichter stehen.

Andere Bundesländer haben eine Lücke zwischen Jugendamtshilfe und dem Jugendgefängnis gesehen und geschlossene Heime wieder eingeführt. „In Berlin ist das derzeit politisch nicht gewollt – weder für Kinder unter vierzehn Jahren, noch für Jugendliche“, sagt der Jugendrichter Fred Rudel. Doch dass am vergangenen Sonnabend ein 16Jähriger in Zehlendorf einen sieben Jahre alten Jungen umbrachte, hat die Frage neu belebt, ob die Berliner Regelung sinnvoll ist.

Einige Jugendrichter sind zumindest der Ansicht, dass über solche Heime in Berlin noch einmal diskutiert werden sollte. „Unter Umständen müssen sich die Beteiligten zusammensetzen und überlegen, ob die jetzige Regelung sinnvoll ist“, sagt Rudel. Die Jugendrichterin Kirsten Heise sagte jüngst, wenn ambulante Hilfe nicht ausreiche, seien Heime der „letzte Anker“, der Jugendliche auf dem Weg in Richtung Schwerkriminalität und Jugendhaft noch bremsen könne. Der Berliner Jurist und Kriminologe Johannes Münder dagegen findet: Die Einweisung von Kindern in ein geschlossenes Heim wiege bloß die Öffentlichkeit in „trügerischer Sicherheit“. Die Täter besäßen nicht die Fähigeit, Mitleid zu entwickeln – sie einzuweisen, sei kontraproduktiv. Man müsse vielmehr pädagogisch mit ihnen arbeiten.

So sieht es auch Justizsenatorin Karin Schubert (SPD): „Schlichtes Wegsperren bringt nichts.“ Die Senatorin sieht die Familiengerichte in der Pflicht. Es gebe Richter, die den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht entziehen können, wenn auch in manchen Fällen nur vorübergehend. Oft aber geschehe nichts, „weil die Behörden nicht eng zusammenarbeiten“.

Ist es für Vorbeugung zu spät, können die Richter beschließen, den straffällig gewordenen Jugendlichen in einer Justizvollzugsanstalt unterzubringen, wenn sie die Einweisung in ein Heim nicht für ausreichend halten. Allerdings nach derzeit geltendem Recht nur dann, wenn der Täter mindestens 14 Jahre alt ist. In der Praxis sieht das so aus, dass jugendliche Straftäter unter 18 Jahren im Haus Kieferngrund ihre Untersuchungshaft absitzen. Die Anstalt in Lichtenrade hat 80 Plätze. Das Haus sei meist voll, sagt Marius Fiedler, der Leiter der Jugendstrafanstalt (JSA) Plötzensee, zu der das Haus Kieferngrund gehört. U-Häftlinge, die älter als 18 Jahre sind, oder aber verurteilte Heranwachsende und junge Erwachsene sitzen dagegen in der Jugendstrafanstalt in Plötzensee ein.

Grundsätzlich gelten für Jugendliche die gleichen Haftgründe wie für erwachsene Straftäter: Fluchtgefahr, Verdunklungsgefahr, Wiederholungsgefahr. „Allerdings“, sagt Jugendrichter Fred Rudel, „hat der Gesetzgeber bei den 14- und 15-Jährigen einen besonderen Riegel vorgeschoben.“ So darf ein Haftbefehl wegen Fluchtgefahr nur dann ausgestellt werden, wenn der Betroffene schon einmal geflohen war, seine Flucht vorbereitet oder keinen festen Wohnsitz hat. Wichtig ist zudem, dass die Dauer der Untersuchungshaft bei Jugendlichen auf das absolute Minimum reduziert werden soll, längstens kann sie sechs Monate dauern.

Alle anderen erzieherischen Maßnahmen haben Vorrang, so will es das Strafrecht. Straffällig gewordene Jugendliche sollen wieder oder erstmalig in die Gesellschaft integriert werden. In Kieferngrund will man das erreichen, indem die Jugendlichen im Garten- und Landschaftsbau, in einem Malerei- oder Tischlereibetrieb arbeiten. In einer Kfz-Werkstatt können sie eine Lehre machen. U-Häftlinge nicht, die sollen nicht so lange bleiben.

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