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Berlin: Weiblich, ledig, 34, sucht: Familie in Afrika

Gudrun F. Widlok vermittelt einsame Europäer an Patenfamilien. Ein Kunstprojekt mit Folgen

Julia, 34, Designerin aus Berlin, ist nicht mehr allein. Sie hat jetzt eine große Familie. Ihr neuer Vater heißt Dennis Nikie Ma Tantiga. Er ist 47 Jahre alt und lebt gemeinsam mit Frau und ihren acht Kindern im westafrikanischen Burkina Faso. Julia ist die erste Adoptivtochter von Herrn Tantiga. Und sein ältestes Kind. Gefunden haben sich der Afrikaner und die Europäerin über das Projekt „Adopted“ von Gudrun F. Widlok. Menschen, die sich isoliert fühlen, die Sehnsucht nach der Wärme einer Großfamilie haben, sammelt die 35-Jährige in ihrer Kartei.

„Wir nehmen hier unser Leben in die eigene Hand, da geht irgendwann das Gefühl von Geborgenheit verloren“, sagt Widlok, die bis zum 29. August ihr „Mobiles Büro“ in der „Freien internationalen Tankstelle“ in Prenzlauer Berg aufgeschlagen hat. Ein Telefon, zwei Stühle, ein Tisch – viel mehr braucht sie nicht. An den grün verputzten Wänden hängen Postkarten aus Afrika, Fotos, E-Mails, Stadtpläne. Und eine große Weltkarte, auf der sie mit Stecknadeln die Orte markiert hat, in die Adopted sie bisher geführt hat und diejenigen, die sie noch besuchen will – in Afrika, Asien, Südamerika.

Nächstenliebe ist es jedoch nicht, die Gudrun F. Widlok umtreibt. „Ich mache keine soziale Arbeit“, sagt die Berlinerin. „Adopted“ sei ein Kunstprojekt und nicht ganz ernst gemeint. Sie wolle irritieren. Die Telefonnummern, die Fotos, die Weltkarte – sie alle sind Teil einer Inszenierung, die 1996 begann. Das Faltblatt einer Organisation, die Paten für Kinder aus Entwicklungsländern suchte, brachte Widlok damals auf die Idee, den Spieß umzudrehen. Warum sollten nicht auch einsame Europäer die emotionale Unterstützung eines Paten brauchen? Zum Beispiel Rosemary aus London: „Ich ziehe oft um; und kaum habe ich Freunde gefunden, muss ich schon wieder in die nächste Stadt. Das hält keine Beziehung aus“, schreibt die 28-Jährige in dem Adopted-Prospekt. Und: „Ich habe mich vor kurzem erst bei der Organisation beworben und hoffe, dass die eine Patenfamilie für mich finden. Ich wäre sehr erleichtert.“ Rosemary hat diese Sätze allerdings nie wirklich gesagt, die Künstlerin hat sie sich ausgedacht. Rosemary ist ihre Fantasiefigur. Julia und die Familie aus Burkina Faso existieren dagegen. Und auch die 100 anderen Europäer in Widloks Kartei sind echt. Was einmal als Fiktion begann, ist inzwischen Realität geworden. Die fiktiven Europäer haben die echten angelockt. Immer wieder wurde die Künstlerin auf ihren Ausstellungen angesprochen, ob sie denn wirklich Kontakte vermittle.

Anfang 2003 ist Gudrun F. Widlok für zwei Monate nach Burkina Faso geflogen, im Gepäck Fotos der realen Europäer, um sie in der Landeshauptstadt Ouagadougou auszustellen. Das Interesse an den Bildern war groß, die Überraschung der Besucher klein. „Ihr wohnt ja nur alleine, da kann man sich ja nicht wohlfühlen“, habe sie dort oft zu hören bekommen. Die Ausstellung war erfolgreich: 30 afrikanische Familien haben sich in Ouagadougou Patenkinder ausgesucht. Und Gudrun F. Widlok konnte 30-mal „Vermittelt“ auf die Bilder stempeln.

In den nächsten Monaten wird sich zeigen, wie groß die Sehnsucht der Europäer nach Wärme wirklich ist. Die Kontakte zwischen Paten und Kindern sind hergestellt – die Künstlerin kann sich zurücklehnen. „Ich beobachte jetzt“, sagt sie. Und später, wenn das Projekt irgendwann hinter ihr liege, suche sie sich vielleicht auch eine eigene Patenfamilie.

Gudrun F. Widlok, Mobiles Büro, Schwedter Straße 262, Prenzlauer Berg, bis 29. August, mittwochs bis freitags 16 bis 21 Uhr, Telefonnummer (0177) 2685143.

Viola Volland

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